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Familienbande

Familienbande

Titel: Familienbande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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denn für die arme Mrs. Flawse gar nichts tun?« fragte die Schwester. »Sie war so ein nettes Mädel.«
»Ich würde ihr raten, sich so schnell wie möglich scheiden zu lassen«, sagte Dr. Mannet entschieden. »Falls das nicht klappen sollte, bliebe nur noch eine operative Entfernung der Gebärmutter. Nicht auszudenken, daß dieser Mann Nachwuchs zeugt ...«
Auf der Straße lockerte Lockhart langsam seinen Unterkiefer und öffnete die Fäuste. Nach einem Tag, den er in einem ansonsten leeren Büro eingesperrt gewesen war, ohne irgendeine Beschäftigung zu haben, hatte der Rat des Arztes das Faß zum Überlaufen gebracht. Er haßte London, Mr. Treyer, Dr. Mannet, East Pursley und alles an dieser verrückten verdorbenen Welt, in die er durch seine Heirat geraten war. Alles, was er hier vorfand, widersprach völlig dem, was zu glauben er erzogen worden war. Statt Sparsamkeit gab es Geschäftsessen und derart inflationäre Zinssätze, daß der Begriff Wucher angebracht wäre; statt Mut und Schönheit traf er bei Männern ausgesprochene Feigheit an œ durch sein Gewinsel um Hilfe war der Doktor seiner Fäuste nicht mehr würdig œ, bei jedem Gebäude sah er nichts als Häßlichkeit und eine niederträchtige Verbeugung vor Nützlichkeitserwägungen; und als Krönung des Ganzen gab es die allgegenwärtige Beschäftigung mit etwas namens Sex, mit dem schmierige kleine Feiglinge wie Dr. Mannet die Liebe ersetzen wollten. Lockhart ging durch die Straße und dachte über seine Liebe zu Jessica nach. Sie war rein, heilig und wunderbar. Er sah sich als Jessicas Beschützer, und die Vorstellung, sie zu verletzen, um seinen ehelichen Pflichten nachzukommen, fand er zutiefst abstoßend. Er kam an einem Kiosk vorbei, in dem Zeitschriften mit weitgehend nackten Mädchen auf den Titelblättern auslagen, die die allerkürzesten Slips oder Plastikregenmäntel trugen, und angesichts ihres angeblichen Reizes schwoll ihm der Kamm. Die Welt war verkommen und korrupt, und er sehnte sich zurück auf die Flawse-Hochebene, in der Hand seine Flinte und irgendein erkennbares Ziel vor Augen, während seine geliebte Jessica neben dem schwarzen eisernen Herd in der gefliesten Küche saß und wartete, daß er ihr Abendessen nach Hause brachte. Und mit dieser Sehnsucht bemächtigte sich seiner der Vorsatz, sie zu verwirklichen.
Eines Tages würde er es mit der ganzen verkommenen Welt aufnehmen und ihr seinen Willen aufzwingen, komme, was da wolle, und dann würden die Leute erfahren, was es hieß, Lockhart Flawse zu verärgern. Doch zunächst mußte er nach Hause. Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, den Bus zu nehmen, doch nach Sandicott Crescent waren es nur zehn Kilometer, und Lockhart war es gewohnt, in der grasbedeckten Hügellandschaft des Nordens fünfzig Kilometer am Tag zurückzulegen. Wütend auf jeden außer Jessica, seinen Großvater und Mr. Dodd, trabte Lockhart die Straße entlang.
     

Kapitel 5
     
    Im Flawseschen Herrenhaus teilte die ehemalige Mrs. Sandicott keine der Gefühle Lockharts. Sie hätte alles gegeben, alles, insbesondere dem alten Flawse Strychnin, um sich wieder in den gemütlichen Grenzen von Sandicott Crescent in der Gesellschaft ihrer Bekannten aufzuhalten. Statt dessen war sie in einem großen kalten Haus gefangen, das auf einer wüsten Einöde stand, wo der Schnee tief war und der Wind pausenlos heulte, mit einem ekelhaften alten Mann und Mr. Dodd, einer noch ekelhafteren Mischung aus Wildhüter und Faktotum. Die Ekelhaftigkeit ihres Gatten war fast sofort offenbar geworden, als sie in dem Zug aus Southampton Platz genommen hatten, und mit jedem Kilometer Richtung Norden deutlicher zu Tage getreten, während Mrs. Flawses Überzeugung, einen schrecklichen Fehler begangen zu haben, zur Gewißheit wurde.
Zu Lande fehlte dem alten Mr. Flawse jener altmodische Charme, der sie auf See so angesprochen hatte. Aus dem exzentrischen und freimütigen, ein wenig kindischen alten Mann war wieder ein exzentrischer und freimütiger alter Mann geworden, dem mehr Fähigkeiten zur Verfügung standen, als sein Alter vermuten ließ. Träger sputeten sich mit ihrem Gepäck, Fahrkartenkontrolleure katzbuckelten, und sogar abgebrühte Taxifahrer, berüchtigt für ihre Grobheit, wenn sie kein angemessenes Trinkgeld erhielten, hüteten ihre Zunge, während Mr. Flawse den Fahrpreis in Zweifel zog und widerwillig mit einem Extrapenny herausrückte. Mrs. Flawse verschlug es die Sprache angesichts seiner Autorität, die eine

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