Familienbande
Sie dafür, daß ihn niemand sieht.«
»Aber er hat nichts mehr zu sagen«, wandte Mr. Dodd ein. Doch Lockhart schaltete das Band von Aufnahme auf Wiedergabe, und von jenseits des Todesschattens hallte die Stimme des alten Mr. Flawse durch das Haus. Als er Mr. Dodd gezeigt hatte, wie man die Kassetten wechselt, um zu viele Wiederholungen zu vermeiden, verließ er das Haus und machte sich über die Hochebene in Richtung Tombstone Law und Miss Deyntrys Haus in Farspring auf den Weg. Er brauchte länger als erwartet. Der Schnee lag hoch, die Verwehungen an den Steinwällen lagen noch höher, und so war es bereits Nachmittag, als er schließlich den Abhang zu ihrem Haus hinunterschlidderte. Miss Deyntry begrüßte ihn mit gewohnter Schroffheit.
»Ich dachte, dich würde ich nicht mehr wiedersehen«, sagte sie, als Lockhart sich vor ihrem Küchenherd aufwärmte.
»Stimmt genau«, entgegnete Lockhart. »Ich bin jetzt nicht hier, und ich werde mir auch nicht für ein paar Tage Ihr Auto leihen.«
Miss Deyntry musterte ihn skeptisch. »Die beiden Aussagen passen nicht zusammen«, sagte sie, »du bist hier, wirst dir aber nicht mein Auto leihen.«
»Dann eben mieten. Zwanzig Pfund am Tag, es hat Ihre Garage nie verlassen, und ich war nie hier.«
»Abgemacht«, sagte Miss Deyntry, »brauchst du sonst noch was?«
»Einen Stopfer«, sagte Lockhart.
Miss Deyntry erstarrte. »Damit kann ich nicht dienen«, sagte sie. »Außerdem bist du doch verheiratet, soviel ich weiß.«
»Für Tiere. Einen, der Tiere ausstopft und ein ganzes Stück von hier entfernt wohnt.«
Miss Deyntry seufzte erleichtert. »Ach so, einen Tierpräparator«, sagte sie. »In Manchester gibt es einen hervorragenden. Natürlich kenne ich ihn nur vom Hörensagen.«
»Und von jetzt ab nicht einmal das«, sagte Lockhart und notierte sich die Adresse, »Ihr Wort darauf.« Er legte hundert Pfund auf den Tisch, und Miss Deyntry nickte.
Am selben Abend wurde Mr. Taglioni, Tierpräparator und Spezialist für dauerhafte Konservierung, wohnhaft in der Brunston Road 5, bei seiner Arbeit an Oliver, dem verstorbenen Pudel einer Mrs. Pritchard, gestört und öffnete die Vordertür. Draußen im Dunkeln stand eine großgewachsene Person, deren Gesicht größtenteils von einem Schal und einem spitzen Hut verdeckt wurde.
»Ja bitte«, sagte Mr. Taglioni, »kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?« »Schon möglich«, sagte der Besucher. »Wohnen Sie allein?«
Mr. Taglioni nickte ein wenig verunsichert. Zu den Nachteilen seines Berufes gehörte, daß nur wenige Frauen bereit zu sein schienen, ein Haus mit einem Mann zu teilen, der seinen Lebensunterhalt mit dem Ausstopfen anderer, toter Lebewesen verdiente.
»Ich hörte, Sie seien ein ausgezeichneter Präparator«, sagte der Besucher und schob sich an Mr. Taglioni vorbei in den Flur. »So ist es«, bestätigte dieser stolz. »Können Sie alles ausstopfen?« Die Stimme klang skeptisch.
»Alles, was Ihnen einfällt«, sagte Mr. Taglioni, »Fisch, Fuchs, Falke oder Fasan œ sagen Sie‘s mir, ich stopfe es aus.«
Lockhart sagte es ihm. »Benvenuto Cellini!« rief Mr. Taglioni, in seine Muttersprache verfallend, »Mamma mia, das ist doch wohl nicht Ihr Ernst?«
Doch da irrte er sich. Aus der Tasche seines Regenmantels holte Lockhart einen riesigen Revolver, den er auf Mr. Taglioni richtete.
»Aber das ist illegal. Das hat es noch nie gegeben. Das ...«
Der Revolver stieß in seinen Bauch. »Ich hab‘s Ihnen gesagt, Sie stopfen es aus«, erklärte die maskierte Person. »Sie haben zehn Minuten, um Ihre Werkzeuge und was Sie sonst noch brauchen einzusammeln, und dann fahren wir los.«
»Schnaps brauche ich«, sagte Mr. Taglioni und sah sich gleich genötigt, die halbe Flasche zu leeren. Zehn Minuten später wurde ein betrunkener und halb durchgedrehter Präparator, dem die Augen verbunden worden waren, auf den Rücksitz von Miss Deyntrys Wagen gepackt und nordwärts gefahren, und gegen drei Uhr morgens war das Auto in einem verlassenen Kalkbrennofen bei Black Pockrington versteckt. Über die Hochebene schritt eine großgewachsene dunkle Gestalt, auf den Schultern den bewußtlosen Mr. Taglioni. Um vier betraten sie das Herrenhaus, wo Lockhart die Tür zum Weinkeller aufschloß und den Präparator auf den Fußboden legte. Oben war Mr. Dodd schon wach.
»Machen Sie einen starken Kaffee«, trug Lockhart ihm auf, »und dann kommen Sie mit.«
Als sie nach einer halben Stunde geschafft hatten, daß Mr. Taglioni, dem sie siedend heißen
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