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Familienbande

Familienbande

Titel: Familienbande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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northumbrischen Whisky hinter die Binde.
»Weißt du«, sagte er, als er sich ein wenig besser fühlte, »ich hatte ja keine Ahnung, daß dein Großvater so wenig von Mr. Bullstrode hält.«
»Meinen Sie nicht, daß sich das auf seine Gehirnerschütterung zurückführen läßt? Der Sturz hat seinen Verstand angegriffen, wie Sie selbst sagten.«
Unten hatte sich der alleingelassene Mr. Taglioni wieder über den alten Portwein sowie über Verdi hergemacht. Dr. Magrew glotzte auf den Fußboden.
»Bilde ich mir das ein«, fragte er, »oder singt da jemand in eurem Keller?«
Lockhart schüttelte den Kopf. »Ich höre nichts«, sagte er bestimmt.
»Guter Gott«, sagte der Arzt wild um sich blickend, »wirklich
nicht?« »Nur Großvater, wie er oben schimpft.« »Das höre ich auch«, räumte Dr. Magrew ein, »aber ...« Er
starrte mit irrem Blick auf den Fußboden. »Na, du mußt es ja wissen. Übrigens, trägst du im Haus immer einen Schal vor dem Gesicht?«
Lockhart nahm ihn wie beiläufig ab. Aus dem Keller drang ein neuer Schwall Neapolitanisch.
»Ich sollte wohl besser verschwinden«, sagte der Doktor und erhob sich schwankend, »freut mich sehr, daß dein Großvater solche Fortschritte macht. Ich komme wieder, wenn ich mich selbst etwas besser fühle.«
Lockhart begleitete ihn zur Tür und verabschiedete sich gerade von ihm, als der Präparator zum nächsten Schlag ausholte.
»Die Augen«, rief er, »mein Gott, ich hab vergessen, die Augen mitzubringen. Was machen wir jetzt?«
Es stand außer Frage, was Dr. Magrew tun würde. Nach einem letzten irren Blick auf das Haus zockelte er im Laufschritt die Auffahrt hinunter zu seinem Wagen. Häuser, in denen er menschliche Wurmfortsätze in ansonsten leeren Kaffeetassen liegen sah und Leute verkündeten, sie hätten ihre Augen vergessen, waren nichts für ihn. Er würde nach Hause fahren und sich von einem Kollegen behandeln lassen.
Lockhart begab sich ungerührt zurück ins Herrenhaus und beruhigte den verzweifelten Mr. Taglioni.
»Ich bringe Ihnen welche«, sagte er, »keine Sorge. Ich hole ein Paar.«
»Wo bin ich?« jammerte der Präparator. »Was ist mit mir geschehen?«
Im ersten Stock wußte Mrs. Flawse genau, wo sie war, hatte aber keine Ahnung, wie ihr geschah. Sie schaute rechtzeitig aus dem Fenster, um den ausdauernden Dr. Magrew zu seinem Auto laufen zu sehen, und kurz darauf tauchte Lockhart auf und ging zum Wehrturm. Als er wieder zurückkam, hatte er die Glasaugen des Tigers dabei, den sein Großvater 1910 auf seiner Indienreise erlegt hatte. Seiner Meinung nach waren sie genau richtig. Der alte Mr. Flawse war immer ein grimmiger Menschenfresser gewesen.
     

Kapitel 17
     
    Diesen ganzen Tag sowie den nächsten und übernächsten war Mr. Taglioni mit seiner grausigen Arbeit beschäftigt, während Lockhart kochte und Mr. Dodd in seinem Bett saß und mißmutig auf die Gurkenbeete starrte. In ihrem Schlafzimmer hatte Mrs. Flawse die Nase gestrichen voll von der Stimme ihres vermaledeiten Gatten, die von der anderen Seite der Treppe pausenlos über Himmel und Hölle, Schuld, Sünde und Verdammnis salbaderte. Wenn der alte Trottel gestorben wäre oder sich wenigstens nicht dauernd wiederholte, hätte es ihr ja nichts ausgemacht, aber er nörgelte ununterbrochen weiter und immer weiter, und in der dritten Nacht war Mrs. Flawse willens, Schnee, Eisregen, Sturm und sogar Höhen zu trotzen, um zu fliehen. Sie band ihre Bettlaken aneinander, riß ihre Decken in Streifen und knotete diese an die Laken und die Laken ans Bett, bis sie schließlich in ihren wärmsten Kleidern aus dem Fenster stieg und eher auf den Boden rutschte als kletterte. Es war eine finstere Nacht, der Schnee schmolz, und vor dem schwarzen Hintergrund aus Matsch und Moor war sie unsichtbar. Sie schlidderte die Auffahrt hinunter auf die Brücke zu, hatte diese gerade überquert und versuchte, das Tor zu öffnen, als sie das Geräusch hörte, mit dem Flawse Hall sie begrüßt hatte: Hundegebell. Die Meute war noch im Hof, doch in Mrs. Flawses Schlafzimmerfenster brannte Licht, was bei ihrem Aufbruch nicht der Fall gewesen war.
Sie wandte sich vom Tor ab und lief, oder besser gesagt stolperte in dem verzweifelten Versuch, die Hügel am Tunnel zu erreichen, den Graben entlang, als sie das Quietschen des hölzernen Tores zum Hof und das lautere Kläffen der Hunde hörte. Die Flawse-Meute hatte wieder einmal eine Fährte aufgenommen. Mrs. Flawse floh weiter in die Dunkelheit, stolperte und fiel,

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