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Familienbande

Familienbande

Titel: Familienbande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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bot ihr Beratung in Finanzfragen an und empfahl, das Geld zu investieren. Lockhart sagte, so etwas Dummes solle sie auf keinen Fall tun. Er hatte Pläne mit dem Geld, in denen Aktien und Pfandbriefe keine Rolle spielten, und schon gar nicht die Kapitalgewinnsteuer, die sie, wie der Bankdirektor ihr zu erklären bemüht war, zwangsläufig zahlen müßte. Lockhart lächelte zuversichtlich und kramte weiter in der Werkstatt im Garten herum. Es half die Zeit zu vertreiben, solange die Häuser verkauft wurden, außerdem war er seit seinem Erfolg als Radiomechaniker auf dem Wilsonschen Dachboden so etwas wie ein Experte auf diesem Gebiet geworden und hatte sich die nötigen Komponenten für eine Hi-Fi-Anlage gekauft, die er nun zusammenbaute. Es schien, als widmete er sich solchen Basteleien mit dem gleichen Enthusiasmus, mit dem sein Großvater Jagdhunde züchtete, und in Null Komma nichts war die gesamte Nummer 12 akustisch verkabelt, so daß Lockhart, wenn er sich von einem Zimmer ins andere begab, durch die bloße Betätigung einer Fernbedienung einen Lautsprecher ab-, den anderen einschalten und sich so überall musikalisch begleiten konnte, wo er ging und stand. Nach Tonband- und Kassettengeräten war er ganz verrückt und hatte viel Spaß mit ihnen, angefangen bei winzigen batteriebetriebenen Geräten bis hin zu Giganten mit speziell angefertigten, einen Meter breiten Spulen, auf denen ein Band saß, das vierundzwanzig Stunden lang pausenlos spielte, ehe es von vorne losging, ad in finit um.
Und genauso, wie er den ganzen Tag lang seine Bänder spielen konnte, konnte er so lange aufnehmen, wie er wollte und in welchem Zimmer er sich gerade befand. Häufig ertappte er sich dabei, wie er ein Lied anstimmte; eigenartige Lieder waren das, über Blut, Schlachten und Viehkriege, die für ihn ebenso überraschend wie in Sandicott Crescent fehl am Platz waren und ihm spontan einfielen, als stammten sie aus einer ihm unbekannten inneren Quelle. Sie hallten in seinem Kopf wider, und immer öfter verfiel er in einen kaum verständlichen Dialekt, der selbst mit der breitesten North-Tyne-Mundart wenig Ähnlichkeit hatte. Die Worte fügten sich zu Reimen, und dahinter tobte eine wilde Musik wie der Wind, der in einer stürmischen Nacht durch den Kamin fegt. In dieser Musik lag keine Gnade, kein Mitgefühl oder Erbarmen, genausowenig wie im Wind oder in anderen Naturgewalten, nur harsche und nackte Schönheit, die ihn aus der realen Welt, in der er sich bewegte, in eine andere Welt entführte, in der sein Wesen wurzelte. Sein Wesen? Eine seltsame Vorstellung, daß er auf ähnliche Art und Weise zu seinem Wesen gekommen war, wie sein Großonkel die Pfründe der Kirche St. Bede‘s in Angoe erhalten hatte, ein Abtrünniger der religiösen Ethik der Selbsthilfe und der Heldenverehrung, der sich sein Großvater verschrieben hatte.
Doch Lockhart beschäftigte sich weniger mit diesen Feinheiten als mit den praktischen Problemen, denen er sich konfrontiert sah, und die Worte und die wilde Musik kamen nur gelegentlich an die Oberfläche, wenn er mit den Gedanken nicht ganz bei der Sache war. An dieser Stelle muß eingeräumt werden, daß er zunehmend Regungen verspürte, die sein Großvater, ein Anhänger von Süsking, dessen Werk Vom ABC zur Handarbeit dem Alten als Leitfaden zur Masturbation diente, mißbilligt hätte. Daß er sich seiner engelsgleichen Jessica nicht aufdrängen wollte, machte sich langsam als Druck bemerkbar, und während er in seiner Werkstatt mit einem Lötkolben hantierte, machten ihm sexuelle Phantasien von der gleichen ererbten, nahezu archetypischen Qualität zu schaffen, wie die urzeitlichen Wälder, die unter dem Einfluß von LSD in Rowdys Hirn aufgeflackert waren, begleitet von Schuldgefühlen. Es gab sogar Momente, in denen er mit dem Gedanken spielte, seine Lust in Jessica zu befriedigen, aber diese Idee verwarf Lockhart und benutzte statt dessen den schafwollenen Polieraufsatz für die elektrische Bohrmaschine. Das war zwar kein befriedigendes Gegenmittel, mußte aber fürs erste genügen. Wenn er eines Tages Herr von Flawse Hall und Besitzer von zweieinhalbtausend Hektar Land war, würde er eine Familie haben, vorher nicht. Bis es soweit war, würden er und Jessica ein keusches Leben führen und auf die elektrische Bohrmaschine und manuelle Methoden zurückgreifen. Lockharts Gedankengang war primitiv, entstammte aber dem Gefühl, daß er erst sein Schicksal meistern müsse, und bis dieser Moment gekommen

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