Familienkonferenz in der Praxis
sich so großartig an, dass ich dachte, o mein Gott, ein Strohhalm, wir brauchen wirklich Hilfe. Schon im Sommer war ich der Meinung, dass wir Hilfe brauchten. Wir begannen aber erst im Oktober.
V : Ich muss zugeben, dass ich nicht der Meinung war, irgendwelche Hilfe zu brauchen.
M : Ich musste ihn erst davon überzeugen.
Bemerkenswert ist Daniels Widerstand gegen den Elternkurs, obwohl die Kommunikation mit der Tochter Janice schon seit Monaten fast völlig zusammengebrochen war. Das ist nicht ungewöhnlich. Trotzdem überraschte es mich immer wieder, dass Eltern es so lange hinausschieben, bevor sie sich dazu durchringen und akzeptieren, dass sie eine solche Ausbildung brauchen.
In einer anderen Familie ging es in einem heftigen Machtkampf zwischen den Eltern und der 17-jährigen Tochter Clara um bestimmte Wertvorstellungen. Claras Mutter beschreibt, wie ängstlich sie die Entwicklung ihrer halbwüchsigen Tochter aufnahm und wie hilflos sie ihr gegenüberstand.
»Eltern können die autoritäre Position nur schwer aufgeben … Wir versuchten, ihr unsere Lebensweise aufzuzwingen – sie sollte so handeln, so leben, so aussehen, wie wir es wollten … Wir erfuhren, dass Clara rauchte. Wir fielen aus allen Wolken. Wir nahmen ihr den Wagen weg. Dadurch wurde sie nur noch aufsässiger. Mein Gott, sie rauchte trotzdem, selbst wenn wir so darauf reagierten. Ihre Kleider! Wir bedachten sie mit diesen strafenden Blicken – wir brauchten gar nichts zu sagen, die Botschaft bestand in unseren Blicken. Sie sagten genug aus über ihre schlampige Kleidung und alles, was so dazu gehörte. Sie war das erste unserer Kinder, das halbwüchsig wurde … Das war alles so neu für uns, so verschieden von den Umständen, unter denen wir erzogen worden waren. Ich habe immer gedacht, wenn man seine Kinder mit in die Kirche
nimmt, selbst ein ordentlicher Mensch ist und den geraden Weg geht, müsste sich alles von alleine fügen. Es war ein arger Schock für mich, feststellen zu müssen, dass Clara nicht in der Weise lebte, in der sie es meiner Meinung nach hätte tun müssen.«
Der Schmerz dieser Mutter besteht darin, dass »Clara nicht in der Weise lebte, in der sie es meiner Meinung nach hätte tun müssen«. Ähnlich empfinden tausende von Eltern, wenn ihre Kinder anders leben als sie selbst. Verfügen die Eltern dann nicht über Techniken, solche Situationen konstruktiv zu bewältigen, werden sie immer wieder versucht sein, sich auf dauernde Kämpfe einzulassen, bis sie schließlich aufgeben. Die Beziehungen verschlechtern sich, die Kinder schließen die Eltern aus ihrem Leben aus, man lebt in mürrischem Schweigen zusammen, oder die Kinder kündigen die Beziehung auf, wie im folgenden Beispiel:
»Meistens schwiegen beide Seiten. Kaum jemals änderte er sein Verhalten, es sei denn, er wurde bestraft. Manchmal brachte Strafe für kurze Zeit eine Veränderung, aber es war nicht für lange … Wie ich gesagt habe, er war sehr feindselig, manchmal war er in fürchterlicher Verfassung. Ich glaube, es war sein Protest dagegen, dass wir mit so viel Autorität ihm gegenüber auftraten … Einmal, als er in Harnisch war und den Schlüssel an den Wagen warf, sagte ich: ›Heb den Schlüssel auf.‹ Er ging fort. Er ging einfach fort! 40 Kilometer ging er bis zur Wohnung eines Freundes.«
Das Dilemma der Eltern
»Als sie halbwüchsig wurden, hielt ich die Zügel straffer, statt ihnen mehr Freiheit zu geben, wie es richtiger gewesen wäre … Ich glaubte, bei den Risiken der Drogen, des Alkohols, des Sex und was weiß ich müsse man gut auf sie aufpassen, wenn man keine Schwierigkeiten bekommen wollte.« »Ich glaube, ich war der Meinung, das richtige Vater-Image wäre der Boss – stark und mächtig … Sie sollten tun, was ich ihnen sagte.«
»Als Mutter und als Mensch wurde ich über den Haufen gerannt. Ich wählte den Weg der Nachgiebigkeit, besonders bei unserem zweiten Kind. Und dieses kleine Wesen rannte mich wirklich über den Haufen. Ich tat einfach nichts, um meine Rechte durchzusetzen … Das ging so weit, dass ich sie schließlich hasste.«
Sehr häufig war in unseren Interviews davon die Rede, dass Eltern Hilfe suchten, weil sie sich im Dilemma zwischen Strenge und Nachgiebigkeit gefangen sahen. Erschreckt von den »Risiken der Adoleszenz«, werden manche Eltern Diktatoren und manche Fußabtreter. Keines von beidem ist eine Lösung. Die Diktatoren leiden unter Schuldgefühlen und hassen sich selbst, die Fußabtreter
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