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Familienkonferenz in der Praxis

Familienkonferenz in der Praxis

Titel: Familienkonferenz in der Praxis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gordon
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Kontroversen. Er war der Meinung, dass er nun, da er so groß war wie ich, keine Angst mehr vor mir zu haben brauchte.«

    Diese Mutter weist auf ein Phänomen hin, das die meisten Eltern nicht verstehen. Wenn ihre Kinder älter (und »größer«) werden, verfehlt die elterliche Autorität, die ihren Zweck erfüllte, als die Kinder noch kleiner waren, einfach deshalb ihre Wirkung, weil den Eltern keine Macht mehr bleibt. Ihre halbwüchsigen Kinder sind nicht länger bereit, sich unterdrücken und einschüchtern zu lassen.
    Zum Schluss sei noch von zwei Krisen die Rede, von denen uns Eltern im Interview berichteten:

    »Ich forderte sie auf, ihr entsetzlich unordentliches Schlafzimmer aufzuräumen … Sie ließ mich einfach abfahren: ›Nein, ich denke nicht daran. ‹ Schließlich verabreichte ich ihr eine Tracht Prügel und warf sie dann so hart auf das Bett, dass ich sie wirklich ernsthaft hätte verletzen können. In diesem Moment hasste ich das Kind schrecklich. Ich hasste sie wirklich, wissen Sie, und dachte daran, sie zur Adoption freizugeben.«

    Ein sehr erfolgreicher Manager in leitender Position berichtete im ›Familienkonferenz‹-Kurs, warum er sich zur Teilnahme entschlossen hatte. Sein ältester Sohn hatte beinahe alles erreicht, was er erreichen konnte: Er war Pfadfinderführer gewesen, hatte ein Studium im Osten mit summa cum laude abgeschlossen, war Jungpräsident seiner Handelskammer und war zum Jungkaufmann des Jahres ernannt worden. Drei Wochen nach dieser letzten Auszeichnung erschoss er sich. Er hinterließ eine Nachricht mit folgendem Wortlaut: » Vater, ich kann so nicht mehr weitermachen, weil ich nicht weiß, wer ich bin. Ich glaube beinahe, dass ich du bin.«
    Wer braucht Elterntraining?
    Offensichtlich waren die von uns interviewten Eltern der Meinung, dass sie ein spezielles Training brauchten, um ihrer Aufgabe besser gerecht werden zu können. Sie hatten viele verschiedene Gründe: Selbstentfaltung, Vorbeugung, den Wunsch, es besser als die eigenen Eltern zu machen, die Furcht vor der »schrecklichen Adoleszenz«, erste Gefahrenzeichen oder eine ernste Krise. Der größte Teil der Eltern hat wahrscheinlich niemals in Betracht gezogen, an einem Elternkurs teilzunehmen. Wie wir entdeckt haben, weisen auch viele den Gedanken zunächst zurück. Ihr Widerstand wurzelt in der sehr verbreiteten Überzeugung, dass man zum Kindererziehen keine Ausbildung braucht!
    Eines kann ich allerdings daran nicht verstehen. Selbst jene, die die Vorstellung eines Elterntrainings ablehnen, sind sofort bereit zuzugeben,
dass sie Stunden nehmen, zum Training gehen oder sich einem bestimmten Ausbildungsprogramm unterziehen müssen, wenn sie irgendeine andere Fertigkeit erlernen wollen. Diejenigen, die Tennis spielen wollen, nehmen Tennisstunden; gute Bridgespieler haben irgendwann ganz bestimmt Bridgestunden genommen. Wenige Menschen werden sich auf Skipisten wagen, wenn sie nicht an einem Skikurs teilgenommen haben. Das gilt auch für Autofahren, Nähen, Malen, Kochen, Schwimmen usw. Bei der Elternrolle ist das anders. Die Menschen gehen von der Annahme aus, sie würden schon gute Eltern, wenn sie die Kinder erst hätten. Oder sie können die Tatsache nicht akzeptieren, dass es da jemanden geben soll, der ihnen beibringen kann, wie sie besser mit ihrer Aufgabe fertigwerden. Tatsächlich stammt unser Wissen über die wirkungsvolle Ausübung der Elternrolle aus jüngerer Zeit, seit die Verhaltenswissenschaftler die zwischenmenschlichen Beziehungen zum Gegenstand ihrer Forschung gemacht haben. Heute weiß man recht viel darüber. Wir wissen, welche Techniken erforderlich sind, um in einer interpersonalen Beziehung wechselseitige Kommunikation zu schaffen. Wir wissen, wie sich interpersonale Konflikte so lösen lassen, dass keiner verliert und keiner siegt. Wir wissen, wie wir jemand anderen dazu veranlassen können, unsere eigenen Bedürfnisse zu berücksichtigen. Wir verfügen über ein Verfahren, das dem anderen dabei helfen kann, seine persönlichen Probleme aufzuarbeiten und eigene Lösungen zu finden. Wir wissen, in welchem Maße Macht und Autorität zwischenmenschliche Beziehungen zerstören. Und schließlich fand dieses Wissen unmittelbare Anwendung auf die Eltern-Kind-Beziehung. Man hätte fast denken können, diese Beziehung sei sehr verschieden von anderen Formen zwischenmenschlicher Beziehungen – denen zwischen Freund und Freund, Mann und Frau, Lehrer und Schüler, Vorgesetztem und Untergebenem. Das

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