Familienkonferenz in der Praxis
hier wie in den anderen Lebensbereichen nicht leicht, ein beträchtliches Opfer an Zeit und Energie zu bringen, um Problemen bereits dann vorzubeugen, wenn sie noch in weiter Ferne sind.
»Wir lesen die Schrift an der Wand«
Etwas anderes ist es, wenn Eltern Gefahrensignale wahrnehmen. Nicht akzeptable und Besorgnis erregende Verhaltensweisen stellen sich ein. Die Kinder zeigen ihren eigenen Willen oder werden immer unzufriedener mit sich selbst. Bei den Eltern macht sich Hilflosigkeit breit. Sie werden nicht mehr mit den belanglosen Konflikten fertig, die der Alltag ihnen mit ihren Kindern beschert. Sie sind erschöpft und reizbar. Viele Eltern berichteten uns, dass sie Hilfe suchten, weil sie die »Schrift an der Wand« lasen. Nichts wirklich Schlimmes, keine großen Krisen, keine Tragödien, sondern die ersten Anzeichen drohender Schwierigkeiten.
Unsere Tonbandinterviews bezeugen diese bohrenden Ängste und Zweifel:
»Ich glaube, unsere Methoden hatten ausgedient …«
»Mein Mann sagte mir, dass ich die ganze Zeit auf ihnen herumhacke. Beide hatten wir das Gefühl, dass wir der Aufgabe nicht mehr ganz gewachsen seien; es gab zu viel Reibung.«
»Freddy, der Zweitälteste, neigte eher zur Auflehnung. Unser ältester Sohn hielt sich an die Regeln. Freddy wollte das aber ganz und gar nicht. Da fing es an schiefzulaufen.«
»Ich erinnere mich, wie mir zumute war, als David etwas bedrückte – ich wusste nicht, wie ich ihn dazu bringen sollte, es mir mitzuteilen.«
»Etwas anderes, an das ich mich erinnere, war die Tatsache, dass es mich häufig bekümmerte, wenn Ralph unglücklich war. Ich wollte ihm helfen und darüber sprechen. Er hatte aber Schwierigkeiten, mir mitzuteilen, was ihn bedrückte. Ich fühlte mich sehr hilflos. Es war scheußlich für mich, einzusehen, dass ich ihm nicht dabei helfen konnte.«
In einer anderen Familie nahm die Mutter vor ungefähr sechs Jahren an unserem Kurs teil. Damals waren ihre vier Jungen im Alter von 5 bis 14. Sie sagte, sie sei zunächst verärgert gewesen, als ihr ein Freund vorschlug, den Kurs zu besuchen. Dann veranlassten sie aber zwei besonders schwer wiegende Ereignisse, doch einzusehen, dass sie Hilfe brauchte:
»Ich will Ihnen eine Bemerkung wiederholen, die mein Sohn mir gegenüber machte und die mich etwas nachdenklich stimmte. Eines Tages fragte ich ihn irgendetwas und – wie ich meinte – in ganz normalem Tonfall. Er aber sagte: ›In Ordnung, aber hör auf zu jammern.‹ Ich dachte, mein Gott, wenn sich das für ihn so anhört, dann ist wirklich etwas nicht in Ordnung.«
»O ja, und wir hatten viel Ärger mit dem ältesten Jungen, der seine Hausaufgaben nicht machen wollte. Er war sehr schlampig. Mein Mann sagte immer wieder, ich sollte etwas dagegen unternehmen – ihn dazu zwingen, dass er am Tag zwei Stunden in seinem Zimmer arbeitete, oder ihm das Fernsehen für sechs Monate streichen. Und wissen Sie, ich habe all diese Sachen ausprobiert, aber sie funktionierten nicht. Ich konnte ihn
in seinem Zimmer einsperren, aber er saß nur da und sah auf den Fußboden. Mit seinen Leistungen ging es rapide abwärts. Er war sehr unglücklich, wir alle waren unglücklich. Daraufhin ging ich in eine Gruppe und gleich anschließend zum ›Familienkonferenz‹-Kurs.«
Einige Eltern berichteten, wie sie ihre Illusionen über die Elternrolle verloren. Sie stellte sich als durchaus nicht so rosig heraus, wie überall zu hören ist. Die Dinge entglitten ihnen. Steve und Ann beschrieben, wie sie immer mehr Enttäuschungen mit ihren beiden Kindern im Alter von zehn und sieben erlebten:
M : Ich meckerte mit ihm und merkte selbst, dass ich es tat. Ich konnte aber nicht aufhören. Ich war davon überzeugt, dass Mutter zu sein unmöglich heißen konnte, von einem Streit in den anderen zu geraten – so kann niemand leben.
I : Worüber meckerten Sie?
M : O mein Gott, über alles.
I : Über alltägliche Dinge wie Zähneputzen und Haareschneiden?
M : Hm.
V : Ja, oder dass sie ihr Zimmer aufräumen, ihre Betten machen, sich bei Tisch besser benehmen, sich nach Tisch selbst um ihr Geschirr kümmern oder ihren Teil zur häuslichen Arbeit beitragen sollten. All diese Sachen scheinen so nebensächlich zu sein, aber das sind die Dinge, die im alltäglichen Leben eine Rolle spielen …
I : Wie war Ihnen zumute?
M : Ich war sehr ärgerlich. Ich bin sicher, ich war ärgerlich auf mich und auf sie. Ich wusste genau, dass ich das Ganze eigentlich viel besser hätte machen
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