Familienkonferenz in der Praxis
an sie erinnern. Dieses Mal wollte er nicht allein ins Bett zurück. Zwei Nächte lang blieb ich bei ihm, bis er eingeschlafen war. Nach der dritten Nacht sprach ich am folgenden Tag mit ihm darüber. Ich war gespannt, ob die erlernten Techniken auch hier helfen würden.
Ich begann das Gespräch mit den Worten: »Stan, ich befürchte, deine Träume sind auch für mich ein Problem. Beide finden wir keinen Schlaf. Ich bin bekümmert, und Papa findet, dass ich in meinem Bett schlafen sollte. Das möchte ich auch, aber andererseits möchte ich auch nicht, dass du Angst hast. Ich bin wirklich hin- und hergerissen. Ich finde, wir sollten jetzt am Tage über die Träume sprechen.«
Das taten wir dann auch – wir versuchten es zumindest. Die Szene, die sich in den nächsten fünf Tagen wiederholte, nahm immer mehr oder weniger den gleichen Verlauf:
Irgendwann im Verlaufe des Tages gab Stan einen tiefen Seufzer von sich und sah zu Boden oder ins Leere. Ich sagte: »Bist du jetzt bekümmert, Stan?« Er antwortete nicht. Daraufhin meinte ich: »Stan, ich habe das Gefühl, wir sollten über diese Träume sprechen. Ich bin sehr bekümmert. Können wir darüber sprechen?« Er nickte. An den ersten vier Tagen nahm unser Gespräch den folgenden Verlauf:
Stan : Ich kann es nicht ändern, Mama. Ich habe Angst und kann nicht wieder schlafen.
Mutter : Deine Träume jagen dir große Angst ein.
Stan : Ich mag nicht wieder alleine schlafen gehen.
Mutter : Wenn ich mich zu dir lege, ist deine Angst nicht so groß?
Stan : Ja.
Und dann schwiegen wir. Weiter ging es nicht. Ich hegte bestimmte Vermutungen über den Inhalt dieser Träume, aber etwas riet mir, nicht weiterzufragen. Ich dachte: »Es ist sein Problem, er muss sich selbst dazu äußern.« Ich versuchte aber, unser Gespräch nicht abreißen zu lassen. Ich meinte, er solle sich an den Traum zu erinnern versuchen. Er weinte und sagte, er könne das nicht bzw. er hätte Angst, es zu tun. Schließlich sagte ich: »Nun, vielleicht träumst du heute nacht gar nicht.« Aber wieder wachte er schreiend auf. Am sechsten Tag sagte ich: »Stan, ich befürchte, dass ich dir nicht über deine schlimmen Träume hinweghelfen kann. Ich bin so hilflos. Ich bin müde und entmutigt. Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Ich frage mich, ob wir nicht jemanden aufsuchen sollten, der dir vielleicht besser bei deinen Problemen helfen kann.« Dieses Mal antwortete er: »Ich möchte mit niemand anderem sprechen, ich möchte nur mit dir sprechen.«
»Über den Traum?«, fragte ich.
»Nein«, sagte er, »über meine Angst.«
Wir sprachen lange. Oft hatte das Gespräch lange Pausen:
Stan : Wenn ich im Dunkeln aufwache, habe ich Angst, allein auf der Welt zu sein.
Mutter : (will ihn trösten) Du hast Angst, dass alle dich verlassen haben.
Stan : (ärgerlich) Ja, man kann sich nicht darauf verlassen, dass irgendjemand da ist.
Mutter : Du hast das Gefühl, du kannst dich nicht darauf verlassen, dass wir bei dir sind.
Stan : Ja, du und Papa, ihr geht immer zur Arbeit oder sonst irgendwohin.
Mutter : Du glaubst, wir sind zu viel fort.
Stan : (ungeduldig) Nein. Es ist nur, dass ich mich nicht darauf verlassen kann, dass alles beim Alten bleibt.
Mutter : Die Dinge verändern sich. Diese Ungewissheit ängstigt dich.
Stan : Ja, nimm zum Beispiel dich und Papa. Ihr seid auch nicht immer hier.
Mutter : (verwirrt und sich selbst verteidigend) Aber Stan, Papa und ich gehen abends nicht sehr häufig fort, und wenn wir es tun, kommen wir immer zurück.
Stan : Aber die Dinge bleiben nicht gleich (weint jetzt). Ich kann mich auf niemanden verlassen. Die Menschen sterben, weißt du.
Mutter : Du hast Angst, dass Papa und ich sterben und Mark und dich allein lassen könnten.
Stan : (schüttelt mit dem Kopf, Schweigen, weint heftiger und dann … ) Du und Papa, ihr seid gesund, Mark ist es nicht …
Mutter : Du hast Angst, dass Mark stirbt. Du wirst ihn vermissen und dich ohne ihn einsam fühlen.
Er nickte. Mein Gott, welchen Schmerz, welche Angst hatte er mit sich herumgetragen! Wir sprachen dann weiter darüber. Er erzählte mir, er wisse, dass er schon seit sehr, sehr langer Zeit davor Angst habe. Ich fragte ihn, ob das seit sechs Monaten, einem Jahr oder zwei Jahren so sei. »Es ist viel länger her«, sagte er. Ich weinte mit ihm.
Er erzählte mir, dass er Angst gehabt habe, über Marks möglichen Tod zu sprechen. Er habe befürchtet, ihn dadurch herbeizuführen. Wir sprachen über vieles.
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