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Familienkonferenz in der Praxis

Familienkonferenz in der Praxis

Titel: Familienkonferenz in der Praxis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gordon
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mich, dass wir vor einigen Tagen meine Mutter besucht haben. Alice entdeckte ein künstliches Insekt, das meine Mutter sehr effektvoll an einem Vorhang angebracht hatte. Alice hatte ein wenig Angst davor. Ich erklärte ihr, dass es nicht »wirklich sei«, sondern dass es sich um ein »Spielzeug«-Insekt handle. Daraufhin fasste sie es an und lachte. Die Verbindung, die sie zwischen den beiden Vorfällen herstellte, war die Art und Weise, in der sie meine sehr unangemessene Erklärung ihres Alptraumes verstand. Kleinkindermetaphysik!

    14. Januar: Die Reaktion meines Bruders auf mein »aktives Zuhören« bei Alice. Wenn sie hinfällt und sich wehtut oder sich den Finger in der Tür klemmt und weinend zu Mama gelaufen kommt, sage ich etwas in der Art von: »Oh! Das tut dir wirklich weh!« Oder wenn ihr irgendjemand etwas weggenommen hat und sie ärgerlich ist, sage ich: »Du möchtest das wirklich wiederhaben, nicht wahr?« Daraufhin meinte mein Bruder: »Warum reibst du es ihr immer unter die Nase?«
    Ich kann verstehen, dass aktives Zuhören auf jemanden, der es nie versucht hat, so wirken kann. Tatsache ist aber, dass Alice in der Tat meine Anstrengungen, ihr mein Verständnis mitzuteilen, zu schätzen scheint. Es scheint ihren Kummer auch tatsächlich ein wenig zu lindern.

    17. Januar: Heute morgen habe ich eine pervertierte Form des aktiven Zuhörens angewendet. Auf subtile Weise versuchte ich Alice mit seiner Hilfe abzulenken und sie von ihrem Thema abzubringen. Ich bemerkte,
dass meine rückmeldenden Botschaften ganz bewusst von der Botschaft abwichen, die ich erhielt. Ich wollte Alice auf etwas anderes bringen, ich wollte ihrer Aufmerksamkeit eine andere Richtung geben.
    Als wir am Waffelstand vorbeifuhren, sagte sie mit einigem Nachdruck: »Waffel … Alice!«
    Ich wusste sehr gut, dass die Botschaft heißen sollte: »Alice möchte eine Waffel haben!« Ich versuchte dem Thema auszuweichen, indem ich meinte: »Oh, Alice mag Waffeln sehr gerne!« Ich nahm nicht zur Kenntnis, was ich nicht hören wollte. So leicht lässt sie sich aber nicht überfahren. Sie verbesserte mich: »Waffel, jetzt«!
    Ich sagte: »Jetzt!« Mir war klar, dass dieses halbherzige Nachplappern eine Form des aktiven Zuhörens ist – wenn es überhaupt noch diese Bezeichnung verdient –, die nicht besser als die zwölf Kommunikationssperren ist. Tatsächlich war es eine von ihnen. Wahrscheinlich wäre eine ehrliche »Ich-Botschaft« weit angebrachter gewesen.
    Ich glaube, ich neige ihr gegenüber häufig dazu. Unter dem Mäntelchen des aktiven Zuhörens setze ich meinen Willen durch. Darauf werde ich zu achten haben!

    19. Januar: Wenn ich bei Alice vom aktiven Zuhören Gebrauch mache, scheint sie positiv darauf zu reagieren. Mir ist aber auch deutlich bewusst geworden, wie häufig ich ihr sage, was sie tun soll, oder ihr Vorschläge mache. Ich habe festgestellt, dass sie mich nicht selten fragt, ob es in Ordnung ist, wenn sie dieses oder jenes tut. Ich glaube, meine Bevormundungen und Einmischungen haben sie daran gehindert, ihre eigenen Kräfte zu entwickeln und die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Mir wäre es lieber, wenn sie sich wesensgemäß und in dem ihr angemessenen Tempo entwickeln würde. Ich schätze es, wenn sie sich um meine Meinung kümmert! Vermutlich geht es ihr genauso!

    20. Januar: Ich glaube, ich achte sehr bewusst darauf, wie Menschen mit ihren Kindern und miteinander sprechen. Ich muss schon sagen, es stört mich erheblich, wenn ich mit Freunden zusammen bin und höre, wie
sie all die Kommunikationssperren im Umgang mit ihren Kindern und mit mir verwenden. Da die meisten Menschen sich dieser traditionellen Sprechweisen bedienen, bin ich immer weniger bereit, dieses Verhalten zu akzeptieren! Und das wiederum, das muss ich hinzufügen, bekümmert mich, weil ich nicht mit so negativen Einstellungen gegenüber dem Verhalten anderer leben mag. Mir wäre es lieber, wenn ich sie spüren lassen könnte, dass sie auf ihre Weise verfahren können und ich auf meine und dass das, was für mich richtig ist, nicht unbedingt für sie richtig sein muss. Das fällt mir aber bei der Kindererziehung nicht leicht, die ich für so wichtig halte. Vielleicht werde ich wieder toleranter sein, wenn ich diese verwünschte Erkältung überwunden habe.

    21. Januar: Das aktive Zuhören bewährt sich auch bei Joe (meinem Mann). Ihm gefällt es, wenn ich ihm zuhöre und er feststellen kann, dass ich wirklich daran interessiert bin

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