Familienkonferenz in der Praxis
Seite erforderlich war. Das wurde einige Wochen durchgeführt. Brent sprach kaum noch mit irgendjemandem und ließ uns merken, dass er uns deswegen hasste.
Eines Abends redete ich mir meinen ganzen Kummer im ›Familienkonferenz‹-Kurs vom Herzen. Mit ihrer neu erworbenen Technik halfen mir die Leute im Kurs, mir die ganze Crux der Hausaufgaben von der Seele zu reden. Mir wurde klar, dass wir es direkt mit einer Frage des Problembesitzes und indirekt mit einer Frage der Wertvorstellungen zu tun hatten. Das Schularbeitenproblem, das Raymond und ich im Namen unserer Elternrolle in Besitz genommen hatten, betraf in Wirklichkeit Brent und seine Lehrerin. Sicherlich, Raymond und ich legten großen Wert darauf, dass die Kinder ihre Schularbeiten machten. Das lag an unseren persönlichen Zielsetzungen. Letztlich handelte es sich aber doch um Brents Problem.
Ich erörterte diesen Gesichtspunkt mit Raymond (der erst in einigen Monaten am ›Familienkonferenz‹-Kurs teilnehmen sollte, was jedoch eine andere Geschichte ist). Er ließ keine Ungewissheit darüber aufkommen, dass er meine neuen Auffassungen für viel zu nachgiebig und unverantwortlich halte. Schließlich war Raymond aber doch damit einverstanden, dass wir den Versuch unternehmen und das Problem auf meine Weise angehen wollten, da wir in dieser Sache wirklich nichts mehr zu verlieren hatten.
Bei der nächsten passenden Gelegenheit setzte ich mich also mit Brent zusammen und erörterte meine neuen Erkenntnisse mit ihm. Ich erklärte ihm, dass ich zugäbe, dass all der Druck, der Zwang und die Unfreundlichkeit, die wir im Zusammenhang mit den Hausaufgaben
aufgewendet hätten, falsch gewesen seien. Ich sagte ihm, dass ich die Hausaufgaben jetzt als etwas betrachtete, das nur ihn und seine Lehrerin anginge. Ich sei aber gerne bereit, ihn daran zu erinnern und ihm in der Rechtschreibung zu helfen, wenn er darum bitte. Jeder Zwang gehöre aber der Vergangenheit an. Ich rief seine Lehrerin an und erklärte ihr, dass von nun an Brent ganz alleine für seine Schulaufgaben verantwortlich sei. Ich bat sie, allen Problemen, die in dieser Hinsicht auftreten sollten, in einer ihr angebracht erscheinenden Weise zu begegnen. Ich berichtete Brent vom Inhalt dieses Gespräches. Brent war außer sich vor Freude. Er schloss daraus, dass er bei seinen Eltern kein Blatt mehr vor den Mund zu nehmen brauche und dass er für den Rest seines Lebens von allen Schulaufgaben entbunden sei. Einige Tage lang ging er glücklich ohne Aufgaben in die Schule. Am dritten Tag jedoch kam er wütend zur Eingangstür hereingeschossen und schrie hysterisch, dass er seine Lehrerin hasse. Es schien so, als teile sie seine Auffassung über Schulaufgaben ganz und gar nicht. Er hatte eine Extraaufgabe bekommen und musste die Wörter, die sie aufgehabt hatten, 25-mal abschreiben. Ich hörte Brent zu, als er seiner Meinung über die Lehrerin Luft machte. Er meinte, sie hacke auf ihm herum, sie sei ungerecht und könne ihn ganz einfach nicht leiden. Er hatte wohl noch nicht die Verbindung zwischen ihr und seinem Verhalten hergestellt.
Nach einer unendlich langen Zeit war Brent mit der erschöpfenden Arbeit fertig und kam zu uns herein, um sich über seine schmerzenden Finger zu beklagen. Wir halfen Brent, durch aktives Zuhören zu erkennen, was sich wirklich hinter seinem Unbehagen verbarg.
Sicher, seine Finger taten ihm weh, aber er äußerte auch, dass es sehr viel leichter sein würde, die regulären Aufgaben zu erledigen als sich jeden Abend irgendwelchen Extraaufgaben unterziehen zu müssen.
Der Frieden? Die Hausaufgaben sind kein Problem mehr. Wir begnügen uns jeden Abend mit der Frage: »Hausaufgaben, Brent?« Er nickt zustimmend oder grunzt unzufrieden, aber hat seine Lektion hinsichtlich des Problembesitzes, der Handlungskonsequenzen und Verantwortung wirklich gelernt. Das Gleiche gilt für Mama und Papa!
Das Einkaufen mit Felix war in unserer Familie immer ein Problem. Dieser undankbaren Aufgabe musste ich mich immer irgendwann am Tage entledigen, um meinen Zeitplan einzuhalten. Felix musste mitgeschleppt werden. Unvermeidlich sah unser Sohn Nr. zwei dann irgendeine Süßigkeit oder ein Spielzeug, das er einfach haben musste. Stets hielt ich dann eine Vorlesung über Karies, und selbst bevor ich jemals etwas von der ›Familienkonferenz‹ gehört hatte, merkte ich, wie er mit Gesicht und Körper zum Ausdruck brachte: »Ja, ja. Hoffentlich bist du mit deiner Predigt bald zu Ende.«
Das
Weitere Kostenlose Bücher