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Familienkonferenz in der Praxis

Familienkonferenz in der Praxis

Titel: Familienkonferenz in der Praxis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gordon
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offene Kriegshandlungen verstrickt worden. Niemals aber hatten wir gelernt, unsere Gedanken auszutauschen oder unsere Gefühle über unsere Beziehung zu äußern.
    Das Gespräch führte zu einer ganz neuen Kommunikationsweise zwischen ihm und mir. Als Felix sagte, wie frustriert er darüber sei, dass ich ihm »niemals« zum Mittagessen anböte, was er gerne möge, konnte ich meine impulsive Abwehrreaktion und meinen aufsteigenden Ärger unterdrücken. Ich hätte am liebsten geschrien: »Ich bin kein Gedankenleser! Sag mir, was du willst! Gib mir einen Hinweis. Nur einen kleinen.« Stattdessen fragte ich ihn, was er zum Essen haben wolle, und wir konnten uns darüber verständigen.
    Schließlich kamen wir wieder auf den Vorfall beim Einkaufen zu sprechen. Es folgte ein längeres Gespräch über Geld. Dabei begriff ich, dass Felix der Überzeugung war, mir stünden unbegrenzte finanzielle Mittel zur Verfügung. Wann hatten wir uns auch jemals die Zeit genommen, ihm unsere finanzielle Situation zu erklären? Wir waren von der Voraussetzung ausgegangen, dass ein Fünfjähriger nicht reif genug sei, solche Probleme zu verstehen. Mir wurde klar, dass ich unsere Kinder einfach unterschätzt hatte. Tatsächlich waren sie durchaus in der Lage, einen Haushaltsplan zu verstehen. Sie akzeptierten die Notwendigkeit, zu planen und über die Einkäufe nachzudenken.
    Wenn wir heute einkaufen gehen, entscheiden Felix und ich uns vorher, ob es ein »Tag zum Aussuchen«, ein »Tag zum Planen« oder ein »Tag zum Kaufen« ist. Frieden. Ein andermal kamen Raymond und Brent von
einer Ringerveranstaltung nach Hause. Es gab jedoch ein Problem. Raymond, der bei der Marine ist, muss alle Sportereignisse in Uniform besuchen. Das führte früher zu Spannungen, weil Brents Verhalten dann doppelt wichtig für den Vater wurde. Offensichtlich hatte Raymond an diesem Abend in der Militärsporthalle Anstoß an Brents Verhalten genommen. Zu Hause angekommen, schickte er Brent in sein Zimmer. Ich hörte Raymond zu, als er seinem Unwillen Luft machte. Er wollte Brent in Zukunft nicht mehr zu solchen sportlichen Veranstaltungen mitnehmen, bis »er gelernt hat«, wie er sich benehmen müsse. Ich hatte das Einkaufsproblem mit Felix erst vor kurzem gelöst. So teilte ich Raymond mit, wie nützlich es sein kann, Grundregeln festzusetzen und die Technik der Problemlösung zu benutzen. Das waren damals völlig unbekannte Begriffe für Raymond. Aber er war bereit, es gleich zu versuchen.
    Bevor Raymond und Brent nun am folgenden Wochenende zu einer Sportveranstaltung aufbrachen, ließen sie die Vereinbarungen, die sie ausgehandelt hatten, noch einmal Revue passieren. Raymond brachte noch einmal sein Bedürfnis zum Ausdruck, auf seinem Platz sitzen bleiben zu können und nicht ständig aufstehen zu müssen, um Brent von irgendwoher zurückzuholen, wo er nicht hindurfte. Sie klärten, welche Orte für Zuschauer verboten waren. Außerdem sollte Brent Raymond für den Erfrischungsstand nicht um mehr Geld als vereinbart angehen. Brent sagte, er hätte das Bedürfnis, sich dorthin zu setzen, wo er Lust hätte. Er wollte allein zum Erfrischungsstand gehen und auch herumgehen dürfen, wenn er Lust dazu hatte. Raymond wies noch einmal darauf hin, dass Brent andere Zuschauer nicht stören dürfe. Sie erörterten, wann sein Herumgehen die anderen Leute am wenigsten stören würde. Nachdem sie sich über die Grundregeln Klarheit verschafft hatten, gingen sie fort. Beim Abendessen mussten Felix und ich uns einen sehr lebhaften Bericht über die Ringerveranstaltung anhören. An diesem Abend gab es in unserer Familie keine dicke Luft. Wir alle genossen ein Familienleben, das frei von Streit und Hader war.
    In erster Linie habe ich von Erlebnissen berichtet, die mich und einen der Jungen betrafen. Es ist wichtig zu ergänzen, dass sich auch in anderer
Beziehung viel in unserer Familie änderte. Viele Jahre lang hatte ich fast täglich die Rolle des Schiedsrichters für Brent und Felix zu spielen. Da sie im Alter nicht weit auseinander und beide Jungen sind, hatte ich die Gewohnheit angenommen, sie in ihren Beschäftigungen nicht als zwei eigenständige und völlig verschiedene Menschen zu sehen. Einige Beispiele: Beide Jungen wurden zu Schwimmstunden geschickt, beide besuchten die gleiche Pfadfindergruppe. Zu Weihnachten erhielten sie beide einen Lastwagen, ein Paar Schlittschuhe und ein identisches Spiel. Stets dachte ich in der Zahl »Zwei«, und ich war noch stolz darauf,

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