Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Familienkonferenz in der Praxis

Familienkonferenz in der Praxis

Titel: Familienkonferenz in der Praxis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gordon
Vom Netzwerk:
besitzen überhaupt keine Gültigkeit mehr für mich.
    Beispielsweise habe ich großen Wert auf Sparsamkeit gelegt. Ich neigte dazu, meine Dollar lieber auf die hohe Kante zu legen, als sie für irgendetwas auszugeben, das mir vielleicht Freude gemacht hätte. Ich glaube, ich habe diese Wertvorstellungen von meinem Vater und von bestimmten philosophischen Vorstellungen übernommen, die mich in meiner Adoleszenz bestimmt haben. Doch meine Sparsamkeit verursacht mir Unbehagen. Ich mag dieses Unbehagen und diese Selbsteinschränkung nicht. Bei näherer Prüfung stelle ich fest, dass ich überhaupt keinen Wert darauf lege zu sparen. Mir macht es großen Spaß, ohne irgendein Schuldgefühl mein Geld auszugeben. Ich bin da einer Vorstellung gefolgt, die mir heute völlig veraltet erscheint.
    Das trifft auch auf andere Wertvorstellungen zu. Es ist aufregend, die Veränderung zu spüren, Wertvorstellungen abzuschütteln, zu denen ich überhaupt keine Beziehung mehr habe. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch erschreckend, mich von so vielen Aspekten meines Selbst zu trennen. Der eigentliche Prozess macht Spaß, dann stellt sich aber ein plötzliches Gefühl der Leere ein. Ich weiß nicht mehr, wer ich bin und was für mich Bedeutung hat. Es ist wie mit dem Abbruch eines Gebäudes. Bevor ein anderes an seiner Stelle errichtet ist, sieht man nur Ödland. Was werde ich erbauen? Die Möglichkeiten sind sehr erregend – und auch die Vorstellung, dass ich es aufs Neue niederreißen und mit einem neuen beginnen kann, wenn es meinen Bedürfnissen nicht mehr genügt.

    6. März: Möglichkeiten! Was für ein neues Ich entsteht da? Ich weiß es nicht. Es ist wie im Frühling, bevor die Saat zu sprießen beginnt. Man spürt, dass sie da ist und ans Licht will. Es macht Spaß, der Fantasie freien Lauf zu lassen, um zu sehen, was dabei herauskommt. Ich bin fest davon überzeugt, dass ich in der Lage bin zu entscheiden, was gut und richtig für mich ist. Ich kann neue Wertvorstellungen erproben und feststellen, ob ich mit ihnen zurechtkomme. Und ich kann neue
Verhaltensweisen erproben, von denen ich mir nie hätte träumen lassen, dass ich zu ihnen fähig sei. Wie schön ist es, sich zu verändern, ohne dass ein Ende dieses Prozesses zu sehen ist!
    Krieg und Frieden
    Tagelang habe ich mich bemüht, einen Anfang für diese Aufzeichnungen zu finden. Ich möchte damit beginnen, unser Familienleben so zu beschreiben, wie es sich vor der ›Familienkonferenz‹ darstellte. Dabei kommt mir die Analogie zum Geburtstrauma in den Sinn. Es ist mir fast unmöglich, mich an die Unerfreulichkeit unseres einstigen Familienlebens zu erinnern. Unsere Familie – das sind vier Menschen, deren Zusammenleben im Laufe des letzten Jahres meine kühnsten Hoffnungen übertroffen hat. Selbst unser Wortschatz, die Art und Weise, in der wir miteinander reden, muss jedem ganz fremd klingen, der noch keine Bekanntschaft mit der ›Familienkonferenz‹ gemacht hat.
    Dabei fällt mir sofort ein Beispiel ein. Unser fünfjähriger Sohn Felix und sein Freund Robert spielten kürzlich oben. Ich hörte mit, wie Robert zu Felix sagte: »Wir bekommen vielleicht Ärger, wenn wir das tun«, woraufhin Felix erwiderte: »In unserer Familie haben wir keinen Ärger. Wir haben Konflikte.«
    Ärger nahm früher in unserem Haushalt viel Zeit und Energie in Anspruch – für die Missetäter ebenso wie für die Vollzugspersonen. Im letzten Jahr haben wir einige Techniken erlernt, um mit Bedürfnissen, Konflikten und Problembesitz fertigzuwerden. Spannungen in unseren Beziehungen betrachten wir nicht mehr als Ärger, sondern eher als entgegengesetzte Vorstellungen, die miteinander versöhnt werden müssen. Alle haben wir daran gearbeitet, durch neue Interaktionsweisen ein neues Gefühl des gegenseitigen Interesses und Vertrauens zu schaffen. Und noch vor kurzem haben wir alle unter den Auswirkungen dieses Streits gelitten. Nun macht sich unser Einsatz an Zeit und Energie bezahlt. Unsere Familienbeziehungen sind heute eine Quelle der Freude
statt wie früher eine des Ärgers. Die Veränderung war ein langsamer und mühsamer Prozess.
    Unser Sohn Brent ist ein außerordentlich vitaler achtjähriger Junge. Jeden Tag auf der Busfahrt zur Schule darf man ihn zu der Gruppe von Jungen zählen, die die Geduld des Fahrers und der aufsichtsführenden Mutter auf eine harte Probe stellen. Neulich sagte eine Nachbarin, die an diesem Tage mit den Kindern gefahren war: »Ich weiß nicht, was Sie

Weitere Kostenlose Bücher