Familienkonferenz in der Praxis
dich erschreckt. Sofort veränderte sich ihr Ausdruck. Aller Kummer fiel von ihr ab, und sie ging beruhigt aus dem Zimmer. Damit war es vorbei! Sie wollte nur, dass ich verstand, wie sie sich fühlte.«
Ähnlich war es bei dem zweijährigen Tommy. Seine Mutter berichtet:
»Er hatte es sich angewöhnt, fürchterlich zu weinen, wenn er sich wehgetan hatte. Im Kindergarten war er mit anderen Kindern zusammen, die die Gewohnheit hatten, andauernd hereinzukommen und zu sagen:
›Ich hab ein Aua-Wehweh, ich hab ein Aua-Wehweh.‹ Dabei schrien und weinten sie, so laut sie konnten, und warteten darauf, dass man sie in den Arm nahm und bemitleidete. Tommy hatte sich das dort angewöhnt. Als er dann wieder einmal mit einem dieser kleinen Aua-Wehwehs – es war nichts Ernstes – kam, sagte ich: ›Oh, es sieht aus, als täte es wirklich weh.‹ Hopp, war er wieder draußen.«
Worin ist der Zauber des aktiven Zuhörens begründet? Es geschieht etwas im Inneren des Kindes, wenn es das Gefühl hat: ›Ich werde verstanden. Aber was ist es? Da wir es nicht sehen können, sind wir auf Hypothesen angewiesen.
Vielleicht möchte das Kind wirklich als Person »akzeptiert« werden – als Person, die sich wehtut, oder zu anderen Zeiten als Person, die erschreckt, enttäuscht, traurig, einsam ist. Vielleicht möchte das Kind auch nur von jemand anderem anerkannt, zur Kenntnis genommen oder bestätigt werden – wie in den Fällen, da es etwas Befriedigendes tut: »Sieh, Mama, freihändig!« Oder: »He, Papa, ich kann auf dem Kopf stehen!« Vielleicht brauchen Kinder dies genauso, wenn sie uns mitteilen: »Ich habe Angst vorm Donner« oder »Ich hab mir das Knie aufgeschlagen«. In jedem Beispiel zeigt sich uns das aktive Zuhören als äußerst nützliches Instrument, um dem Kind eine Reaktion zu übermitteln, die ihm bei seinem augenblicklichen Problem hilft.
Gefühle gehen vorüber
Eltern sind häufig davon überrascht, wie rasch sich Kinder beruhigen, wenn sie verstanden werden. Das trifft auch auf sehr heftige und tiefer gehende Gefühle zu. Sehen wir uns Bobby an, der dreieinhalb Jahre alt ist und Erbsen nicht ausstehen kann; sein Vater stand dem aktiven Zuhören skeptisch gegenüber und versuchte zu beweisen, dass es nicht funktioniert. Er berichtete:
»Einmal sagte Bobby, er möge keine Erbsen. Statt nun zu antworten: ›Iß die Erbsen, Bobby‹ oder ›Halt den Mund‹, sagte ich: ›Bobby, du magst wohl keine Erbsen.‹ Daraufhin er: ›Oh, ich glaube doch.‹ Ich konnte es nicht glauben! Aber er aß die Erbsen wirklich. Es war unglaublich … Es war das erste Mal, dass ich aktives Zuhören benutzte.«
Wenn Eltern es lernen, mit Einfühlung und Verständnis auf die Gefühlsregungen ihrer Kinder einzugehen, kann es gar nicht ausbleiben, dass sie entdecken, wie vorübergehend diese Gefühle sind. Die meisten von uns haben es anders gelernt. Wenn jemand sagt: »Ich hasse dich«, sind wir am Boden zerstört. Wir glauben, wir hätten auf immer einen Freund verloren. Mithilfe der ›Familienkonferenz‹ lernen Eltern jedoch zu unterscheiden zwischen den Gefühlen eines Kindes und dem Kode, den es wählt, um seine Gefühle mitzuteilen. Es handelt sich um zwei verschiedene Dinge.
Wenn ein Kind sagt: »Ich hasse dich«, benutzt es die Worte als Kode. Es drückt ein Gefühl aus, das es gerade empfindet – z.B. Ärger, weil man ihm keine Süßigkeiten geben will, oder Enttäuschung, weil man nicht mit ihm spielen will. Hier erweist aktives Zuhören seinen Nutzen. Eltern besitzen in ihm ein spezielles Verfahren, auf die Gefühle des Kindes, nicht auf seinen Kode, zu antworten. Unser Diagramm des aktiven Zuhörens ( Abb. 17 ) kann diesen Punkt vielleicht deutlicher machen.
Mit der Verschlüsselung wählt das Kind einen Kode für seine verbale Botschaft. Mit der Entschlüsselung schließt der Elternteil vom Kode des Kindes auf das Gefühl in seinem Inneren. Durch den bewussten Gebrauch des aktiven Zuhörens üben sich Eltern darin, auf die Gefühle des Kindes und nicht auf seinen Kode zu reagieren. Dieser hört sich für Eltern nämlich meist krasser oder bedrohlicher an als das Gefühl, mit dem man sich eigentlich befassen sollte.
Aus dem folgenden Auszug eines Interviews mit der Mutter und dem Vater von vier Kindern (im Alter von 7 bis 13) scheint hervorzugehen, dass die Eltern den oben geschilderten Prozess verstanden haben:
Abbildung 17
Mutter : »Manchmal, als Nick noch klein war, war er wirklich wütend auf mich. Er
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