Familienkonferenz in der Praxis
in unser Bett zu klettern. Wir sagten: ›Mark, uns wäre es lieber, wenn du in deinem Bett bleiben würdest. Wir brauchen unseren Schlaf wirklich. Wenn du hereinkommst und uns aufweckst, sind wir am nächsten Tag müde und haben schlechte Laune.‹ Die ersten zehn Male reagierte er nicht. Schließlich tat er es aber. Er stand auf und hörte sich eine Platte an. Wir teilten ihm mit, dass die Platte uns auch aufwecke … Da hatte er einen Einfall: Er stellte den Apparat nur an, sodass er ihn summen hören konnte. Das reichte aus, um ihn zu beruhigen. Das Summen hörten wir in der Regel nicht.«
Ein Vater berichtete uns von der einfallsreichen Lösung, auf die sein Sohn kam, als es darum ging, ein frisch gesätes Rasenstück nicht zu zerstören:
»Als ich nach Hause kam, sah ich Garys Hockeytor direkt an der Auffahrt mitten auf einem Rasenstück, das ich gerade angesät hatte. Zahlreiche Fußabdrücke zeigten sich in dem Gras, das gerade zu sprießen anfing. Ich sandte eine starke Ich-Botschaft, in der ich mitteilte, wie traurig es mich mache, das neue Gras ruiniert zu sehen. Ich hätte keine Lust, mir die Zeit und die Mühe zu nehmen, es noch mal zu säen. Er murmelte irgendetwas in seinen Bart, das mir zeigen sollte, dass er meine Bemerkung zur Kenntnis genommen hatte, und ließ sich ansonsten bei seiner
Beschäftigung – er sah fern – nicht stören. Einige Tage später, als ich nach Hause kam, wurde ich Zeuge eines hitzigen Hockeyspiels. Vier oder fünf Jungen aus der Nachbarschaft und mein Sohn bestritten es. Diesmal befand sich das Tor auf der Auffahrt, und ich bemerkte, dass die Jungen es vermieden, die Grasfläche zu betreten. Ich wies darauf hin, und einer der Jungen bemerkte: ›Für jeden Fußabdruck gibt es einen Strafstoß. Ich habe nie herausgefunden, wie sie auf diese Lösung verfallen sind, aber sie funktionierte großartig. Ich wäre niemals darauf gekommen.«
Kinder sind deshalb so kreativ in ihren Lösungen, weil ihr Bedürfnis, das zu tun, was sie tun möchten, sehr ausgeprägt ist. Man kann es fast in ihren kleinen Köpfen arbeiten sehen, wenn sie nach einer Lösung suchen, die einerseits die Bedürfnisse der Eltern berücksichtigt und sie andererseits nicht von ihrem Vorhaben abhält. Das motivierte wohl auch Tim im folgenden kurzen Beispiel:
»Eine junge Mutter aus unserem Kurs hatte die Stereoanlage gewischt, weil sie Besuch erwartete. Ihre beiden kleinen Jungen (im Alter von sieben und vier) wollten an diesem Nachmittag ihre Musik hören. Sie befürchtete aber, dass sie Fingerabdrücke auf der Anlage hinterlassen würden. Sie widerstand der Versuchung zu sagen: ›Lasst mich das für euch machen‹ und sandte stattdessen eine Ich-Botschaft: ›Wenn ihr an der Anlage herumfingert, fürchte ich, werdet ihr Fingerabdrücke darauf hinterlassen. Dann muss ich noch einmal wischen, weil wir heute Besuch bekommen.‹ Ihr Siebenjähriger entwickelte eine eigene kreative Lösung: Sorgfältig zog er seine Pulloverärmel über seine Hände herunter und öffnete das Gerät, ohne Fingerabdrücke zu hinterlassen.«
Es sei noch einmal wiederholt: Wir neigen dazu, die Fähigkeiten von Kindern zu unterschätzen. Man gebe ihnen eine Chance, sie unter Beweis zu stellen.
»Es ist ein schönes Gefühl, ehrlich zu sein«
Wenn Eltern beginnen, Ich-Botschaften zu senden, bemerken sie nicht nur Veränderungen an ihren Kindern. Sie bemerken auch erstaunliche Veränderungen an sich selbst. Die verschiedenen Wendungen, mit denen man uns gegenüber diese Veränderung zu beschreiben versuchte, scheinen alle im Wesentlichen auf dasselbe hinauszulaufen: größere Ehrlichkeit:
»Ich brauche nicht mehr so zu tun, als hätte ich Lust, mit meinen Kindern zu spielen, wenn mir nicht danach zumute ist.«
»Ich brauche nicht mehr um die Dinge herumzureden.«
»Ich sage viel eher, wie mir zumute ist.«
»Ich bin sehr viel mehr geradeheraus.«
»Ich-Botschaften erlauben mir, viel offener und ehrlicher mit anderen zu sein.«
Offensichtlich gilt auch hier das Prinzip: »Sag mir, was du tust, und ich sage dir, wer du bist.« Indem Eltern sich der neuen Kommunikationsweise bedienen, entwickeln sie in ihrem Inneren jene Ehrlichkeit, die ihre Ich-Botschaft anderen übermittelt. Die Technik der Ich-Botschaft wird zu einem Instrument für die Eltern, ihre Gefühle kennenzulernen. Du-Botschaften richten sich ganz und gar an anderen aus. Unsere Interviews zeigen, dass die ›Familienkonferenz‹ nicht nur ein bestimmtes
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