Familienkonferenz in der Praxis
Ausdruck gebracht werden. Es sei daran erinnert, dass wir Eltern beibringen, der Ärger sei gewöhnlich ein sekundäres Gefühl. Gewöhnlich resultiert er aus einem primären Gefühl, das Furcht, Schmerz, Verlegenheit und Ähnliches sein kann. Wenn Eltern diesem primären Gefühl auf die Spur kommen, brauchen sie nicht ärgerlich zu werden.
Bewährt sich das in der Praxis? Stellen Eltern nach dem Kurs fest, dass sie weniger häufig ärgerlich werden? Unsere Untersuchung zeigt, dass es manchmal der Fall ist. Es erweist sich aber auch, dass andere Eltern weiterhin ärgerliche Botschaften senden.
Im folgenden Auszug berichtet eine Mutter von drei Kindern von den Erfolgen mit dem Modell der ›Familienkonferenz‹:
»Tony fuhr mit dem Fahrrad zur Nachmittagsvorstellung. Er sollte um halb sechs zu Hause sein. Inzwischen hatte es zu regnen begonnen. Ich wartete. Um halb sechs war es sehr dunkel, und es regnete in Strömen. Es wurde sechs, und er war immer noch nicht zu Hause. Ich war sehr ärgerlich, hatte aber auch große Angst, dass ihm etwas Schreckliches zugestoßen sein könnte. Was sollte ich tun? Schließlich kam er um viertel nach sechs nach Hause, und das Erste, was ich ihm sagte, war: ›Oh, ich hab mir wirklich Sorgen gemacht! Ist irgendetwas passiert?‹ Er antwortete: ›Aber nein, Mama. Wir haben in der Schule gewartet, dass der Regen aufhört. Schließlich meinten wir, er würde nicht aufhören. So
beschlossen wir, nach Hause zu fahren …‹ Früher hätte ich verärgert reagiert. Ob ich mir darüber klargeworden wäre, dass ich eigentlich Angst hatte, weiß ich nicht. Ich hätte es aber zumindest ihm gegenüber nicht zugegeben und nur gesagt: ›Wo warst du, junger Mann?‹ Und: ›Nächsten Samstag wird nichts aus dem Film!‹«
Eine Mutter fand einen neuen Weg, ihren Ärger zu bezwingen:
»Früher wurde ich ärgerlich auf meinen Mann. Dann sagte er: ›Was ist los?‹ Und ich sagte: ›Ach, nichts.‹ Aus der ›Familienkonferenz‹ hatte ich die sehr nützliche Erkenntnis gewonnen, dass der Ärger im Allgemeinen nur ein tieferes Gefühl verdeckt … Seitdem weiß ich, dass ich mich fragen muss, woher der Ärger rührt. Gewöhnlich lag es daran, dass ich den ganzen Tag über dauernd bei meiner Arbeit gestört wurde und kaum etwas davon erreicht hatte, was ich mir vorgenommen hatte.«
Anderen Eltern bereitete es ebenfalls Schwierigkeiten, keine ärgerlichen Botschaften mehr zu senden. Betrachten wir das folgende Beispiel, in dem ein Teenager zu spät von einem Film nach Hause kommt:
»Als ich die Autotür zehn Minuten nach eins hörte, war meine erste Empfindung: ›Mein Gott, was bin ich erleichtert, dass er zu Hause ist.‹ Aber wir hatten keinen Schlaf gefunden. Als er nun auf dem Weg in sein Zimmer war, waren wir außer uns vor Wut. Wir sagten ihm das. Wir hielten ihm vor, wie unüberlegt er gewesen sei, dass er uns hätte anrufen können und welche Sorgen wir uns gemacht hatten. Er sagte: ›Ja, es tut mir leid.‹ Damit machte er kehrt und ging nach unten. Wir hörten, wie er die Tür zuschlug. Mein Mann rief: ›Gute Nacht.‹ Er knallte die Tür noch einmal zu. Ich lag noch lange wach, weil ich so wütend auf ihn war. Trotzdem wusste ich, dass wir es falsch gemacht hatten. Aber die Tatsache, dass wir uns dessen bewusst waren, war ein großes Plus. Am nächsten Morgen ermutigten wir ihn deshalb, über den Film zu sprechen, und erwähnten den Vorfall in der Nacht zuvor mit keinem Wort.«
Es kann aber auch vorkommen, dass die ärgerlichen Botschaften von Eltern zu keinerlei Widerstand oder Groll führen:
»Ich wischte den Boden. Die Kinder liefen rein und raus, und ich fand, dass das wirklich nicht ging. So sagte ich ihnen: ›Ich bin sehr ärgerlich. Das macht mich ungeduldig. Ich habe keine Lust, mich jetzt mit euch zu streiten. Ich möchte in Ruhe gelassen werden.‹ Sie sahen mich an und sagten: ›In Ordnung, wir spielen oben.‹ Es schien so einfach – es war großartig!«
Zwar nennt die Mutter auch einen Grund (sie möchte allein gelassen werden). Doch geht aus diesem Beispiel hervor, dass Ärger nicht unbedingt zu Türknallen oder Beleidigtsein führen muss. Auch eine ärgerliche Botschaft wird häufig zu positiven Ergebnissen führen. Tatsächlich ist es für Eltern immer noch weit gesünder, ärgerlich zu werden und daraus keinen Hehl zu machen, als Ärger aufzustauen. Dadurch mehrt sich nur der Hass und Groll auf die Kinder.
Selbst wenn die Ich-Botschaft eines Elternteils
Weitere Kostenlose Bücher