Familienkonferenz in der Praxis
anfangs ärgerlich herauskommt, ist es noch nicht zu spät, das primäre Gefühl hinterherzuschicken. Zumindest weiß das Kind dann, dass Sie einen Grund hatten, ärgerlich zu werden.
Wenn Sie aber feststellen, dass Sie Tag für Tag ärgerliche Botschaften senden, ist es sehr wahrscheinlich, dass Sie noch nicht festgestellt haben, was Sie eigentlich stört. Sie sollten sich dann selbst fragen:
»Was fühle ich eigentlich in meinem Inneren?«
»Welche meiner Bedürfnisse bleiben unbefriedigt?«
»Warum bin ich nicht glücklicher?«
»Was nagt wirklich an mir?«
Vielleicht finden Sie dann heraus, dass Sie eigentlich nicht ärgerlich auf das sind, was die Kinder tun, sondern auf das, was Sie nicht tun können!
8. Neue Anwendungsmöglichkeiten für Ich-Botschaften
A us den Kursen und den Interviews haben wir einige neue Vorstellungen und Einsichten über die Verwendung von Ich-Botschaften gewonnen. Anfangs sollte das Verfahren nur dazu dienen, auf verbalem Wege Kinder dazu zu bringen, nicht akzeptable Verhaltensweisen zu ändern. Mittlerweile wurde das Konzept der Ich-Botschaften aber erheblich erweitert. Heute wissen wir, dass sich Ich-Botschaften auch bei Säuglingen und Kleinkindern anwenden lassen, die das gesprochene Wort noch nicht verstehen. Außerdem hat sich herausgestellt, dass sich Ich-Botschaften auf sehr wertvolle Weise verwenden lassen, um Kindern gegenüber Anerkennung und Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen, wenn ihr Verhalten den Eltern besonders akzeptabel erscheint.
Schließlich haben meine eigenen Vorstellungen über Ich-Botschaften in den Diskussionen mit Linda Adams eine ganz neue Gestalt angenommen. Sie hat in Zusammenarbeit mit uns einen neuen Kurs ins Leben gerufen. Dabei hat sie das Konzept der Ich-möchte- oder Ich-brauche-Botschaft entwickelt, die nicht akzeptable Verhaltensweisen für die Zukunft abwenden soll. In diesem Kapitel möchte ich diese neuen Erkenntnisse und neuen Anwendungsweisen erklären und erläutern.
Ich-Botschaften bei Säuglingen und Kleinkindern
Ich-Botschaften sind verbaler Natur. Deshalb ist es verständlich, wenn die meisten Eltern, die die Familienkonferenz lesen oder an einem Kurs teilnehmen, ihre Ich-Botschaften auf Kinder beschränken, die alt genug
sind, um verbale Ich-Botschaften zu verstehen. Wir wissen das heute besser. Natürlich geben Kinder, die noch nicht sprechen können, besondere Probleme auf, weil sie die gewöhnliche Ich-Botschaft nicht verstehen können. Trotzdem ist es ganz leicht, die nicht akzeptablen Verhaltensweisen auch solcher Kinder zu modifizieren, vorausgesetzt, man verhält sich richtig. Die Eltern haben dabei die Wahl zwischen drei verschiedenen Methoden.
1. Das Ratespiel
Barbara ist sechs Monate alt und fängt plötzlich mitten in der Nacht laut zu weinen an. Ihre Eltern schrecken aus ihrem dringend gebrauchten Schlaf auf und reagieren auf das Geschrei des Babys nicht gerade erfreut. Wie können sie Barbara aber dazu bekommen, mit dem Weinen aufzuhören? Ganz einfach, sie beginnen zu raten. Sie müssen den Grund ihres Weinens finden, wenn sie Abhilfe schaffen wollen. Das ist eine Art Rätsel:
Vielleicht hat sie sich nass gemacht und friert. Kontrollieren wir das zuerst. Nein, sie ist noch trocken. Hat sie dann vielleicht ihr Bäuerchen nicht gemacht und wird von Blähungen gequält? Nehmen wir sie noch einmal hoch und sehen wir, ob sie jetzt ihr Bäuerchen macht. Wieder falsch: Barbara macht kein Bäuerchen. Vielleicht ist sie hungrig. Da ist noch etwas Milch in der Flasche. Sie liegt unten im Bettchen. Sehen wir, ob diese Hypothese stimmt. Erfolg! Barbara saugt einige Minuten und wird dann schläfrig. Sie legen sie liebevoll ins Bettchen zurück, und sie fällt in Schlaf. Ihre Eltern können nun wieder ins Bett gehen und an ihren eigenen Schlaf denken.
Eltern sollten diese Versuch-Irrtum-Methode stets anwenden, wenn Säuglinge hartnäckig weinen, wenn sie ruhelos und nörgelig sind, wenn sie keinen Schlaf finden können, wenn sie ihr Essen vom Tisch fegen. Das Ratespiel führt meist zum Erfolg, weil Säuglinge niemals ohne Grund Dinge tun, die ihre Eltern als nicht akzeptabel empfinden. Gewöhnlich liegen sehr gute Gründe vor. Wenn Eltern das Ratespiel benutzen, sparen sie sich viel Ärger. Manchmal ist das Ratespiel leichter,
manchmal schwieriger. Der Gemeinplatz »Wenn Sie anfangs keinen Erfolg haben, versuchen Sie es immer wieder« ist der beste Rat, den ich kenne. Eltern können es zu großem Geschick in diesem Spiel
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