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Familienkonferenz in der Praxis

Familienkonferenz in der Praxis

Titel: Familienkonferenz in der Praxis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gordon
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unrecht, seine Bedürfnisse zählten nicht, es habe etwas Verwerfliches getan und es verdiene Strafe.
    Ein neues Konzept: Die anerkennende Ich-Botschaft
    In den Familienkonferenz -Büchern und in den Kursen wurde die Ich-Botschaft sehr einseitig betrachtet. Sie galt dort ausschließlich der Konfrontation mit Kindern, wenn deren Verhalten nicht akzeptabel war. Viele Eltern haben an diesem eingeschränkten Gebrauch von Ich-Botschaften Anstoß genommen und völlig zu Recht gefragt: »Warum kann man die Ich-Botschaft nicht verwenden, um ein positives oder anerkennendes Gefühl zu übermitteln, wenn das Verhalten des Kindes akzeptabel ist?« Die Erfahrung hat mich ebenso wie viele der Kursleiter veranlasst, darüber nachzudenken, wie diese Vorstellung sich dem ›Familienkonferenz‹-Modell einfügen lässt. Meine Einstellung gegenüber Botschaften, die positive Wertungen enthalten, ist stets ein wenig ambivalent gewesen. Ich bin der Überzeugung, dass das Loben von Kindern häufig manipulativ ist und manchmal auch äußerst schädlich für die Eltern-Kind-Beziehung sein kann. Folgender Gedankengang hat mich zu dieser Überzeugung gebracht:
    Wenn Eltern ihre Kinder loben, verfolgen sie häufig eine bestimmte
Absicht damit. Sie möchten ihre Kinder zu jenen Handlungen bewegen, die sie für die besten halten. Oder umgekehrt, loben Eltern das Kind in der Hoffnung, es werde nicht das tun, was es nach ihrer Meinung unterlassen sollte, sondern das »gute« Verhalten wiederholen, das die Eltern gerade gelobt haben.
    Psychologen haben völlig zweifelsfrei in buchstäblich tausenden von Experimenten mit Menschen und Tieren bewiesen, dass eine Belohnung, die unmittelbar nach dem Auftreten eines bestimmten Verhaltens verabreicht wird, dieses Verhalten »verstärkt«. Darunter ist zu verstehen, dass die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Vorkommens dieses Verhaltens wächst. Belohnungen sind also wirksam. Jeder von uns wiederholt in seinem Alltag jene Verhaltensweisen, die ihm in der Vergangenheit irgendeine Form der Belohnung eingebracht haben. Das ist logisch. Immer wieder tun wir bestimmte Dinge, weil sie uns in der Vergangenheit verschafft haben, was wir gebraucht oder gewünscht haben – wir sind belohnt worden. Das Lob ist natürlich eine Form der Belohnung. Zumindest glauben das die meisten Menschen. Warum sollte man also nicht systematisch versuchen, Kinder für »gutes« Verhalten zu loben? Warum nicht auch Kinder für »schlechtes« Verhalten bestrafen, da wir doch zweifelsfrei wissen, dass Bestrafung eine Verhaltensweise löscht – die Wahrscheinlichkeit ihrer Wiederholung reduziert. Mit dieser letzten Frage, der Bestrafung, will ich mich hier jedoch nicht befassen (später wird zu diesem Punkt noch einiges zu sagen sein).
    Keine Vorstellung hat einen festeren Platz in der Eltern-Kind-Beziehung als diejenige, dass man Kinder für »gutes« Verhalten loben müsse. Viele Eltern halten es einfach für Ketzerei, dieses Prinzip infrage zu stellen. Fast alle Bücher und Artikel über elterliche Erziehung empfehlen es. Wie jedermann weiß, nehmen Lob und Belohnung einen zentralen Platz in nahezu allen pädagogischen Theorien ein. Es soll nicht nur verstärkt werden, was der Lehrer für angemessenes Unterrichtsverhalten hält, sondern ebenso sind Fleiß und richtige Antworten zu verstärken. Doch Eltern, die Lob (und andere Formen der Belohnung)
dazu verwenden, das Verhalten ihrer Kinder zu formen, müssen sich einer Reihe von Fallen auf diesem Wege bewusst sein. Erstens muss das Lob, soll es überhaupt von Nutzen sein, von dem Kind als Belohnung empfunden werden. Häufig ist dies nicht der Fall. Wenn ein Elternteil ein Kind für irgendeine Handlung lobt, die er als »gut« beurteilt, das Kind jedoch nicht, wird das Lob von dem Kind häufig zurückgewiesen oder nicht zur Kenntnis genommen:

    Jimmy hat ein Bild vom Bauernhaus des Großvaters gemalt. Der Vater sagt: »Das ist ein sehr schönes Bild, mein Sohn.« Jimmy ist jedoch höchst unzufrieden mit seinen Bemühungen und erwidert: »Ich finde es miserabel.« Daraufhin sagt der Vater wieder: »Aber nein, das ist es nicht – es ist ein gutes Bild.«

    Die wahrscheinliche Wirkung dieses Gesprächs: Jimmy glaubt, seinem Vater fehle es an Urteilskraft, oder er fängt an, sein eigenes Urteil in Zweifel zu ziehen – sehr wahrscheinlich wird er Letzteres tun. Wer hat recht? Ist es ein gutes oder ein miserables Bild? Wenn Jimmy dazu veranlasst wird, das Bild für gut zu halten,

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