Familienkonferenz in der Praxis
müssen wir uns klarmachen, was der Vater Jimmys Maßstäben angetan hat. Darf man eine Wirkung für Jimmys späteres Leben annehmen, besonders wenn er sich anschickt, ein Künstler zu werden? Sicherlich kann man davon ausgehen, dass Jimmy trotzdem noch einen kritischen Maßstab an seine Arbeiten anlegen wird. Aber nehmen wir einmal an, Jimmy wäre sich der Tatsache bewusst, dass sein Vater sich inständig wünscht, sein Sohn möge gut zeichnen. Wenn das der Fall ist, könnte das Lob des Vaters sehr wohl dazu führen, dass Jimmy die Ehrlichkeit des Vaters bezweifelt. Der Sohn entdeckt beim Vater die Absicht, ihn, Jimmy, dazu zu bewegen, weiterzuzeichnen (»Übung macht den Meister«). Jimmy wird darauf wahrscheinlich antworten:
»Ach, Papa, du sagst das nur, um mir einen Gefallen zu tun! In Wirklichkeit findest du das Bild überhaupt nicht gut!« Frei übersetzt heißt die Botschaft:
»Papa, du bist nicht ehrlich, und ich durchschaue dein Lob.« Welche Wirkung hätte dieses Gespräch für die Vater-Sohn-Beziehung?
Noch ein anderes Problem kann sich durch Lob ergeben:
Janine, die ein Tennis-As werden möchte, nimmt an ihrem ersten Turnier teil und verliert im Semifinale. Die Mutter hat das Spiel natürlich nicht unparteiisch verfolgt. Mit der verständlichen Absicht, die Tochter zu trösten, sagt sie: »Du hast ein gutes Spiel geliefert.« Janine ist den Tränen nahe und davon überzeugt, dass sie miserabel gespielt hat. Ärgerlich antwortet sie: »Das stimmt nicht, ich fühle mich scheußlich! Ich hätte gewinnen müssen.« Darauf die Mutter: »Du hast dein Bestes gegeben, Liebe.«
Wahrscheinlich wird das Ergebnis dieses Lobes sein, dass Janine der Überzeugung ist, ihre Mutter verstünde nicht, wie tief enttäuscht sie über die Niederlage ist. Die Mutter leugnet den offensichtlichen Schmerz ebenso wie die Auffassung ihrer Tochter, sie habe schlecht gespielt. Obgleich die Mutter in der besten Absicht gehandelt hat, die Tochter zu trösten und durch Lob wiederaufzurichten, hat sie es versäumt, einfühlendes Verständnis zu zeigen. Das hätte zum Beispiel die folgende Bemerkung geleistet: »Du findest, dass du nicht sehr gut gespielt hast, und du bist sehr enttäuscht darüber, dass du nicht gewonnen hast.«
Eltern hegen die irrige Vorstellung, dass ein Kind (und jedermann sonst) Lob stets mit Freude zur Kenntnis nimmt. Dem ist ganz und gar nicht so! Lob flößt dem Empfänger häufig Unbehagen und Verlegenheit ein, besonders wenn Freunde dabei sind, die es mithören. Haben Sie einmal darauf geachtet, wie häufig Kinder auf Lob reagieren, indem sie den Kopf senken, von einem Fuß auf den anderen treten oder ihr Gesicht in den Händen verstecken?
Solches Unbehagen wird häufig von Antworten begleitet, die das Lob zurückweisen:
Mutter : Du hast so schönes rotes Haar.
Kind : Ich kann es nicht ausstehen!
Vater : Du bist dabei, ein hervorragender kleiner Schwimmer zu werden.
Kind : Ich bin nicht halb so gut wie Laurie.
Mutter : Du hast uns ein wunderschönes Frühstück zubereitet.
Kind : War es nicht – ich habe die Eier zu hart gekocht.
Noch eine weitere unangenehme Nebenwirkung des Lobes ist zu erwähnen. Es teilt dem Empfänger mit, dass er dem Sender unterlegen ist. Das liegt daran, dass ein Lob immer ein Urteil ist. Der Akt des Urteils bedeutet in der Regel, dass der Wertende mehr weiß als der Bewertete. Wenn ein Individuum gelobt wird, fühlt es sich unter Umständen bevormundet – sozusagen »von oben herab behandelt«.
Wenn ich die Leistung eines anderen bewerte, bedeutet dies, dass ich ihm mitteile, ich verstünde so viel von dieser Tätigkeit, dass mir die Maßstäbe genauestens bekannt seien, nach der sie beurteilt wird; Ich wisse also, wann die Leistung auf diesem Gebiet gut und wann sie unzureichend sei – ob es sich nun um eine Leistung auf dem Gebiet der bildenden Kunst, der Musik, der Literatur oder des Sports handelt. Der Akt des Urteilens konstituiert Überlegenheit. Selten gefällt es Menschen, wenn sie bevormundet werden. Erinnern wir uns: Auch Kinder sind Menschen.
In den letzten Jahren haben einige Kursleiter eine Alternative entwickelt, die Eltern benutzen können, ohne dabei groß Gefahr zu laufen, die negativen Auswirkungen von Lob hervorzurufen.
Man braucht nur zu fragen: »Wenn die Ich-Botschaft eine konstruktivere Methode ist, ein Kind zu motivieren, sein für die Eltern nicht akzeptables Verhalten zu modifizieren, kann sie dann nicht auch eine konstruktivere Methode
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