Familienkonferenz in der Praxis
der Regel in ihre früheren Verhaltensweisen zurück, sobald die elterliche Macht aufgehoben wird (oder sie momentan nicht erreicht), weil ihre Bedürfnisse und Wünsche durch Zwang nicht verändert werden.
Den meisten Eltern widerstrebt es, ihre Macht oder die an Gehorsam ausgerichteten Erziehungsmaßnahmen aufzugeben, weil die einzige Alternative, die sie sehen, Nachgiebigkeit ist. Wenige Eltern wollen sich mit rücksichtslosen, widerspenstigen oder verantwortungslosen Kindern abfinden – jenem Typus, der bei nachgiebiger Erziehung herauskommt. Die niederlagelose Methode kann eine Alternative zur machtorientierten Disziplin (Methode I) oder zur Nachgiebigkeit (Methode II) sein. Die niederlagelose Methode übt keinen Zwang aus. Sie bringt Kinder dazu, ihr nicht akzeptables Verhalten zu modifizieren und die Bedürfnisse anderer zu berücksichtigen. Sie führt dazu, dass Verpflichtungen eingegangen und eingehalten werden. Dies alles werde ich in den folgenden Kapiteln zeigen. Sie übt ebenso wenig Zwang wie die Ich-Botschaft aus, aber im Unterschied zu dieser bewegt die niederlagelose
Methode die Kinder dazu, Verhaltensweisen zu verändern, die sich mit den Rechten der Eltern nicht vertragen.
Verstehen Eltern, dass ihr Einfluss größer wird, wenn sie keine Macht anwenden, werden sie weit eher bereit sein, auf ihre Macht zu verzichten.
Der Mythos der wohlwollenden Autorität
Oft genug habe ich Eltern ihren Machtgebrauch mit Gründen wie den folgenden verteidigen hören:
»Ich habe meine Macht immer mit Verstand gebraucht.«
»Wir sind streng, aber gerecht.«
»Man muss den Mut zur Disziplin haben, sie muss aber von Liebe getragen sein.«
»Eltern können durchaus wohlwollende Disziplin ausüben.«
Wahrscheinlich waren alle Diktatoren und Despoten, die uns aus der Geschichte bekannt sind, im Grunde ihres Herzens davon überzeugt, dass sie ihre Macht mit Verstand gebrauchten. Sie meinten nichts weniger, als zum Besten des Volkes zu handeln. Mögen ihre Absichten noch so gut gewesen sein: entscheidend ist nicht, was der Diktator empfindet, sondern welches Empfinden die Macht, die er anwendet, im Empfänger hervorruft. Meine Erfahrung hat mich zu der Überzeugung gebracht, dass niemand sich wohlfühlt, wenn er sich Zwang ausgesetzt sieht. Mag es sich dabei um Kinder oder Erwachsene handeln.
Kann ein Elternteil Macht anwenden und ihre Wirkung durch Liebe mildern? Ich bin davon überzeugt, dass es sich auch hier um einen Mythos handelt. Eltern rationalisieren mit ihm ihren Gebrauch der Macht. Kann irgendjemand den Menschen »lieben«, auf den er Zwang ausübt? Ich bezweifle es. Nebenbei gesagt, ich bin niemals einem Kind begegnet, das das Gefühl hatte, geliebt zu werden, wenn seine Eltern Macht gebrauchten, um auf Kosten seiner Niederlage ihren Sieg zu erringen.
Ich sehe nicht, wo die Liebe in der Methode I oder II bleiben soll. In
Methode I wird das Kind den Elternteil nicht lieben, in der Methode II wird der Elternteil das Kind nicht lieben.
Autorität: ein Wort mit zwei Bedeutungen
Wir haben erfahren, dass es vielen Eltern widerstrebt, ihre Autorität auch nur teilweise aufzugeben. Das hat seinen Grund in der Doppelbedeutung des Wortes. Ohne Ausnahme verwechseln Eltern diese beiden Bedeutungen.
Autorität I: Kenntnisse, Erfahrung, Kompetenz. (Er ist eine Autorität auf seinem Gebiet; sie zogen eine Autorität zu Rate; er spricht mit Autorität.)
Autorität II: Die Macht, Kontrolle, Befehlsgewalt und Strafgewalt bei Regelverstößen ausüben. (Der Chef verfügt über Autorität gegenüber seinen Untergebenen; er übt seine Autorität aus; sie lehnte sich gegen die Autorität ihrer Eltern auf.) Die erste Form der Autorität beruht auf Einflussnahme. Mit der zweiten ist gemeint, dass Macht durch Verabreichung von Belohnungen und Bestrafungen ausgeübt wird. Wenn sich nun ein Elternteil dazu entschließt, keine Macht mehr auszuüben (Autorität II aufzugeben), heißt das sicherlich nicht, dass er auch auf die Einflussnahme verzichtet. Es ist verständlich, dass alle Eltern ihre Kinder beeinflussen möchten, wobei sie sich auf ihr Wissen, ihre Weisheit und die Urteilskraft berufen, die sie aus umfangreicher Erfahrung beziehen. Das sollen sie auch. Kinder brauchen diese Form der Hilfe sehr häufig. Sie sind auch viel eher bereit, auf das Wissen und die Urteilskraft ihrer Eltern zu hören, wenn die Beziehung keinen Schaden durch elterlichen Machtgebrauch (Autorität II) erlitten hat.
Wir kommen zu einem
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