Familienkonferenz in der Praxis
von zu Hause fortgehen.
Wie ist diese Disziplin beschaffen, auf die die Eltern nicht verzichten zu können glauben? Was hat es mit ihr auf sich? Webster erklärt Disziplin als »Bestrafung durch eine Person, die mit Autorität ausgestattet ist und sie zum Zwecke der Züchtigung oder Ausbildung ausübt«. Entscheidend für den Terminus Disziplin ist der Begriff der Macht oder Autorität. Die Macht soll Gehorsam erzwingen oder die Befolgung von Befehlen durchsetzen. Sie wird verwendet, um zu strafen oder um zu belohnen.
Offiziere disziplinieren ihre Untergebenen, Hundeabrichter disziplinieren Hunde, Lehrer disziplinieren ihre Schüler, Eltern disziplinieren ihre Kinder. Woher aber beziehen all diese Menschen ihre Macht?
Macht wächst jemandem zu, wenn er besitzt, was ein anderer unbedingt braucht: Belohnungen. Der Lehrer verteilt Noten, der Hundeabrichter besitzt Nahrung, die er dem hungrigen Hund anbieten kann. Einen bedrohlichen Charakter nimmt die Macht an, wenn jemand die Möglichkeit besitzt, dem anderen Schmerz oder Unbehagen zuzufügen: Bestrafungen. Der Lehrer kann Schüler nachsitzen lassen oder sie zum Schulleiter schicken. Der Hundeabrichter kann an der Würgekette ziehen und damit dem Hund Schmerzen zufügen.
Belohnungen und Bestrafungen verleihen Menschen Macht. Macht aber ist die Grundlage aller Verfügungsgewalt, die Menschen anderen gegenüber besitzen. Wenn Eltern also sagen, dass sie ihre Autorität dazu
benutzen, um ihre Kinder zum Gehorsam zu erziehen, heißt das, dass sie von den ihnen zur Verfügung stehenden Belohnungen und Bestrafungen Gebrauch machen. Sie bieten Belohnungen an (oder versprechen sie), um ihre Kinder zu dem von ihnen gewünschten Verhalten zu bewegen. Sie verhängen Strafen (oder drohen damit), um das Verhalten abzuwenden, das sie nicht wünschen. Das klingt eigentlich sehr einfach.
In der Praxis ist es nicht im Entferntesten so einfach, wie es sich anhört, Kinder durch Belohnungen oder Bestrafungen zum Gehorsam zu erziehen. Viele Fallen lauern auf die Eltern. Einige sind sehr gefährlich und schädlich für die Eltern-Kind-Beziehung.
Vor allem gehen Eltern unvermeidlich ihrer Macht verlustig. Wenn die Kinder sehr klein sind, haben die Eltern viel Macht über sie. Anfangs besitzen Eltern viele Belohnungen, die sehr wirkungsvoll sind. Ebenso stehen ihnen Bestrafungen zur Verfügung, die ihre Kinder daran hindern, aus der Reihe zu tanzen. Wenn Kinder allerdings älter werden, gehen den Eltern wirksame Belohnungen ebenso wie sinnvolle Bestrafungen allmählich aus. Belohnungen, die einst ihre Wirkung zeigten, begegnen jetzt nur noch Gleichgültigkeit. Werden den Kindern Strafen auferlegt, fangen sie an, sich zu widersetzen oder sich aufzulehnen. Sind die Kinder halbwüchsig, werden die Eltern zunehmend hilflos. Ein Vater drückte das so aus:
»Mein Sohn hat inzwischen den Führerschein. Die einzige Machtquelle, die mir noch übriggeblieben ist, ist der Wagenschlüssel. In sechs Monaten wird das auch keine Wirkung mehr zeigen, weil er dann sein eigenes Auto hat.«
Die Mutter eines 14-jährigen Mädchens gestand ein:
»Shirley nimmt den größten Teil meiner Versuche, sie durch Versprechen, Geschenke oder Gunstbezeugungen zu kontrollieren, einfach nicht zur Kenntnis. ›Wer braucht das schon?‹, fragt sie, und dann fährt sie fort, das zu machen, was ihr Spaß macht.«
Eltern, die sich, als ihre Kinder noch klein waren, hauptsächlich auf Disziplin verlassen haben, entdecken zu ihrer Bestürzung, dass sie aller Macht verlustig gegangen sind, wenn ihre Kinder in die Adoleszenz eintreten. Dann stellen sie fest, dass ihnen kein Weg mehr offensteht, ihre Kinder zu beeinflussen. Aus diesem Grund stellen sich in den meisten Familien die Jahre der Adoleszenz als so frustrierend, stresserzeugend und stürmisch dar.
Natürlich würden alle Eltern es gern sehen, wenn ihre Kinder verantwortungsbewusst, anderen gegenüber rücksichtsvoll, kooperativ, glücklich und gesund wären. Die meisten Mütter und Väter meinen, diese Eigenschaften ließen sich nur durch Disziplin erreichen. Da die Erziehung von Kindern zu Gehorsam notgedrungen auf dem Gebrauch elterlicher Macht beruht, kann sie auf keinen Fall einen Einfluss darstellen. Sie zwingt die Kinder lediglich, sich in der vorgeschriebenen Weise zu verhalten. Disziplin erzwingt ein bestimmtes Verhalten und wendet ein anderes ab. Gewöhnlich wird das Kind dadurch nicht überredet, überzeugt oder motiviert. So fallen die Kinder in
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