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Familienpackung

Familienpackung

Titel: Familienpackung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Fröhlich
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Ich hätte auch gerne noch ein Mädchen gehabt, aber an sich denke ich wie alle. Hauptsache gesund. Ich bin irrsinnig gespannt, was für ein Kerlchen da in mir gewachsen ist. Wie wird er aussehen? Genau wie seine Schwester, nur mit dem obligatorischen Teilchen dran? Wird er Fußballer, Pilot, Friseur oder Atomphysiker? Ich streichle meinen Bauch, erwische sein Knie, liebkose es so gut wie möglich und hoffe, dass er ein lieber und guter Kerl wird. Das wäre doch schon mal was. Ach und lieber Gott, lass ihn bitte klug sein. Dumme Männer sind schwer auszuhalten.
    Im Fernsehen läuft ein Spielfilm. Eine Wiederholung von gestern Abend. Sigourney Weaver, die schon in anderen Filmen ekelhafte Aliens in ihrem Bauch hatte, hat diesmal eine appetitlichere Rolle und spielt eine Farmersfrau. Sie lebt mit Mann und Kindern auf einer idyllischen Farm mit herrlichem Grundstück und tollem See. Ihre Freundin, gespielt von Julianne Moore – dieser hübschen Rothaarigen –, hat auch zwei Kinder, und die Frauen verbringen viel Zeit miteinander. Beste Freundinnen eben. Wechselseitig passen sie auf die Kinder auf, haben lustige Abende mit den Ehepartnern
und das Leben ist einfach nur wunderbar. Man wird fast ein wenig neidisch auf diese Idylle. Doch dann passiert das Grauen. Die Weaver sittet die Kinder der Rothaarigen und unter ihrer Obhut ertrinkt das eine Mädchen. Ich muss sofort weinen. Welch eine Albtraumvorstellung. Ein Moment der Ablenkung und nichts im Leben ist mehr, wie es war. Ich will diesen Film nicht mehr sehen, schaffe es aber nicht, den Fernseher auszuschalten. Ich wünsche mir so sehr, Julianne Moore würde verzeihen, kann aber zu gut verstehen, dass genau das erst mal unmöglich erscheint. Weaver wird gemieden, nicht nur von den Freunden, man wirft ihr auch noch andere Schrecklichkeiten vor, sie kommt ins Gefängnis und ich weine und weine.
    Was ist schrecklicher? Schuld zu sein am Tod des eigenen Kindes oder an dem der besten Freundin? Eine fast unlösbare Frage. Ich bin hin- und hergerissen. Wenn man an etwas schuld ist, sollte man auch selbst die Konsequenz tragen müssen. Andererseits, lieber mit einer schlimmen Schuld leben, als das eigene Kind verlieren, oder?
    Ich rufe Sandra an. Meine ehemalige Kollegin und immer noch Freundin. Sandra ist Psychologin und gut in solchen Fragen. Da Sandra nie die Erste im Büro war, erwische ich sie noch zu Hause. »Andrea, ich freue mich, was gibt’s, geht’s nicht morgen los?«, lacht sie ins Telefon. Ich stammle, »ja, aber ich habe vorher nochmal eine Frage.« Sandra ist etwas irritiert. »Wie kommst du denn jetzt auf so was?«, will sie nach meiner Frage besorgt wissen. »Fernsehen, also ein Film«, ist meine dürftige Erklärung. Sandra überlegt einen Moment und entscheidet sich dann für den Tod des anderen Kindes. Es sei leichter, mit der Schuld zu leben, als ohne das eigene Kind. Und sie macht mich auf einen Denkfehler
aufmerksam, »Schuld hast du immer. Damit musst du in beiden Fällen leben, aber so bleibt dir wenigstens dein Kind.« Hhmm. Ich bin noch nicht wirklich überzeugt. »Soll ich vorbeikommen?«, schlägt sie vor. »Ich kann im Büro anrufen und mich krankmelden. Ich habe lange nicht gefehlt und der Heim nervt eh dermaßen.« Ich beteure, dass ich mich wieder im Griff habe, aber ihr gefällt der Vorschlag selbst ausnehmend gut. »Doch, doch«, sagt sie, »bin gleich da. Ich freue mich. Da können wir doch nochmal ohne Wäh-Wäh-Hintergrundmusik schön schwätzen.« Ich gebe mich geschlagen und finde es wunderbar. Ich glaube, dass man sich mit so existenziell wichtigen Fragen besonders beschäftigt, wenn man selbst vor einem so existenziellen Ereignis wie einer Geburt steht. Ein bisschen Ablenkung kann da nicht schaden.
    Zwanzig Minuten später ist sie da. Und fast genau parallel zu ihrem Eintreffen hat die Moore der Weaver verziehen. Ihr sogar in einer anderen Sache beigestanden. Sie werden nie mehr beste Freundinnen sein, aber ich bin doch sehr froh. Was ist die Moore doch für ein guter Mensch. Ob ich das könnte? Da habe ich doch gewisse Zweifel.
    Sandra hat ein Geschenk dabei. Juhu. »Für morgen, Süße, du darfst es aber erst auspacken, wenn der Kleine da ist, versprochen?«, sagt sie beim Überreichen. Ich verspreche es. Sie erzählt mir wunderbaren Klatsch aus dem Büro, und eine ganze Stunde lang vergesse ich, was morgen bei mir auf dem Plan steht. Schnipp schnapp, Bauch auf, Kind raus und wieder zu. Sandra bleibt, bis Christoph kommt, um mich

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