Familienpackung
lässt du die Jacke offen. Und wenn du ihn mal reinigen lässt, sieht der doch noch picobello aus.« Sie selbst braucht allerdings für die Hochzeit unbedingt ein neues Kostüm. Vernünftig sein fällt bei anderen immer leichter. Und zum Kostüm dringend einen passenden Hut. Meine Mutter findet, sie habe ein Hutgesicht: »Und wann kann man schon mal Hut tragen, außer bei einer Hochzeit? Außerdem, Andrea, es gibt kein besseres Versteck für Stirnfalten.« Ich will meinen blauen Hosenanzug nicht anziehen. Ich will ein Outfit nur für die Hochzeit. Klar ist das Verschwendung, aber, wie ich finde, eine absolut legitime. Und wer ist denn hier die Braut – meine Mutter vielleicht?
Sabine, meine Freundin, begleitet mich beim zweiten Shoppingversuch. Leider liegen wir geschmacklich nicht
ganz auf einer Wellenlänge. Sabine trägt gerne eng. Eng und dazu auch kurz. »Zeig her, solange es noch vorzeigbar ist«, ist ihre einfache Devise. »Fleisch lockt, Trends sind egal, Männern jedenfalls.« Diese offensichtliche Zurschaustellung vermeintlicher Vorzüge ist mir ein wenig zu plump. Obwohl sie mit einer These sicher recht hat: Sabine meint, Frauen brezeln sich hauptsächlich für Frauen auf. »Die meisten Kerle legen auf Mode null Wert. Ob so ein Fummel je in der InStyle war oder zurzeit irre angesagt ist, interessiert die nicht. Hauptsache, es sieht appetitlich aus. Spitze Schuhe, runde Schuhe, wen juckt’s. Frag mal einen Mann nach einem Date, ob er dir sagen kann, was du für Schuhe anhattest. Oder welche Ohrringe. Das ganze Getue kann man sich sparen. Jedenfalls wenn es um die Männer geht. Die bemerken nur, wenn du gar nichts anhast.«
Das mag alles sein, ist mir aber im Moment schnuppe. Es geht bei mir nicht um Männer. Ich habe ja einen gefunden, der mir zusagt. Die Akquisephase ist somit abgeschlossen. Es geht hier nur um mich. Ich will an meiner eigenen Hochzeit großartig aussehen und das ist nun wirklich kein besonders außergewöhnlicher Wunsch. Wir wühlen uns durch die Kaufhäuser. Größenmäßig gesehen sicher realistischer als die verzweifelte Suche in den angesagten Boutiquen. »Außer in einen Schal passt du da zurzeit eh in nichts rein«, verkündet mir Sabine wenig verschlüsselt. Ein bisschen charmanter hätte man das schon formulieren können. Aber es ist die Wahrheit. Ich bräuchte zwei Jacken in Größe 38 . Eine für die Vorderseite und eine für hinten. Sabine meint, rosa wäre nett. Oder ein leichtes Pink. Im Jackie-O-Style. So ein ärmelloses kleines Schwarzes, nur nicht in Schwarz. Ein pinkes kleines Schwarzes eben. Ich protestiere. Wer figürlich
nah dran ist am gewöhnlichen Mastschwein, sollte meiner Meinung nach nicht auch noch pink tragen. Schwarz wäre sicher am Vorteilhaftesten. Aber schwarz auf einer Hochzeit? Nein, man sollte ja nicht schon zum Start einer Mission – und etwas Ähnliches ist eine Hochzeit – Trauer tragen. Das wäre zu viel der offensichtlichen Skepsis dem Thema gegenüber. Ich probiere und probiere und es passt nichts. Ich bin so weit. Ich kapituliere.
Dann eben doch der Hosenanzug. Aber selbst der stellt sich an. Ich muss nicht nur die Jacke offen lassen, sondern auch die Hose. Wirklich elegant sieht das nicht aus. Für einen Stehempfang, zeitlich begrenzt, könnte man mit Gummibändern eine Lösung finden. Aber bei der eigenen Hochzeit ständig darauf achten, ob die wesentlichen Teile noch bedeckt sind, ist ein unangenehmer Gedanke.
Christoph findet mich hysterisch. »Warte lieber noch bis kurz vorher. Zur Not kaufst Du dir ein Schwangerenhängerchen, diese Art bunter Kartoffelsack mit Armlöchern«, wagt er einen Scherz. Humor ist mindestens eine ebensolche Geschmackssache wie Kleidung. Sofort fange ich, hormonell ausreichend unterstützt, an zu weinen und da hat ausgerechnet er die zündende Idee: »Oder lass dir was nähen. Maßschneidern.« Eben noch war er kurz davor, von seiner rasenden und verstörten Verlobten getötet zu werden – und das zu Recht –, und jetzt ist er der Held des Abends. Wieso ist mir das nicht eingefallen? Wen kümmert’s, nur das Ergebnis zählt. Was hat dieser Mann für Eingebungen! Hoffentlich bleibt ihm diese Gabe auch noch nach der Hochzeit erhalten.
Das Schöne: Das Angebot der Schneiderin ist nicht mal immens teuer. Nur – auch ihr macht mein Bauch Probleme.
»Wie sieht der denn voraussichtlich zum Termin aus?«, fragt sie durchaus freundlich. Wenn ich derartige Dinge prognostizieren könnte, wäre ich eine schwerreiche
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