Familienpackung
Trauung. Sind also perfekt in der Zeit. Mehr als zehn Minuten Fahrzeit brauchen wir nicht und mehr als fünf Minuten vorher muss man ja eigentlich nicht da sein. Ich fange an zu rechnen. Es bleiben uns 22 Minuten, um einen adäquaten schönen Brautstrauß zu finden. Jetzt heißt es cool bleiben und schnell und präzise handeln. Große Diskussionen sind nicht drin. »Stefan, du fährst jetzt in die Schweizer Straße. Da holen wir den Strauß. In diesem netten Blumenladen hinten an der Schule. Nicht an der Schillerschule, sondern mehr so an der Freiherr-vom-Stein.« Nur noch 21 Minuten. »Fahr los«, raunze ich. »Ganz wie die Braut befiehlt«, antwortet mein Zukünftiger, der, wie selbstverständlich, am Steuer Platz genommen hat, und gibt Gas.
Das Cabrio ist ein Traum. Obwohl die Außentemperaturen nicht ganz fürs Cabriofahren gemacht sind. Ich meine, wir haben Winter. Aber es sieht einfach besser aus. Was nützt ein Cabrio, wenn das Dach zu ist. Auch mein Haarnest ist etwas irritiert. Ich habe Rutschgefühle am Hinterkopf. Mit
beiden Händen stütze ich die mühselige Konstruktion, die immerhin 67 Euro gekostet hat. Und das Haarnest ist nur eine Leihgabe. Wäre schlecht, wenn es während der rasanten Fahrt auf die Straße fliegen würde. Besser ich erfriere. Noch 20 Minuten Luft. Ich ermahne Christoph, an mein Haar zu denken. »Man muss Prioritäten setzen«, lacht er, »Haare oder Brautstrauß.« Na, das geht ja schön los. Noch nicht mal verheiratet und schon die ersten Einschränkungen. Ich umklammere mein Haar und hoffe auf die Friseurkünste. Für 67 Euro sollte mein Kopfputz wenigstens eine kleine Cabriofahrt überstehen. In siebeneinhalb Minuten sind wir am Blumenladen. Unterwegs winken uns wildfremde Menschen zu, hupen, was das Zeug hält, nicht wissend, dass uns der große Schritt ja erst noch bevorsteht. Ich genieße diesen Auftritt. Komme mir königlich vor. Könnte stundenlang so rumfahren und winken.
Der Blumenladen hat zu. Trauerfall in der Familie. Ein Albtraum. Jetzt wird es wirklich eng. Es gibt nur noch einen Blumenladen hier in der Gegend. Einen Blumendiscounter. »Dann holen wir da eben einen Strauß«, schlägt mein pragmatischer Bruder vor. Die ticken wohl nicht richtig. Soll ich etwa mit einem Zehnerpack Tulpen in orange im Standesamt auftreten? Möglichst noch in Zellophan? »Niemals«, entscheide ich. Zur Scheidung gerne, aber nicht zur Hochzeit. Claudia nölt. Sie will lieber auch Cabrio fahren. Ich zische sie an: »Später. Jetzt fährst du schön mit dem Stefan.« Dafür haben wir nun echt keine Zeit. Genau noch 13 Minuten für einen Strauß. Das muss doch machbar sein. Ich könnte mich auf den Bordstein setzen und heulen. Kann in meinem Leben nicht einfach einmal etwas funktionieren? Können wir den Tag nochmal von vorne beginnen? »Andrea,
wenn du heiraten willst, sollten wir jetzt zum Standesamt – mit oder ohne Strauß«, redet Christoph auf mich ein. Mein Bruder will auch los. »Ich fahre schon mal vor und beruhige die Sippe«, sagt er, packt die immer noch meckernde Claudia ein und fährt.
Christoph lehnt am Cabrio und schnauft. So als wäre all das meine Schuld. Ich meine, wer hat denn die Blumen vergessen? Dann strahlt er und pickt ein paar Rosen von der Motorhaube. »Passen die nicht perfekt zu deinem Kleid?«, fragt er, drückt sie mir in die Hand und tatsächlich – farblich einwandfrei. Drei dicke cremefarbene Rosen. Ganz hübsch. »Von mir aus«, grummle ich, »da habe ich dann halt noch ein paar Blumen gut, nach der Hochzeit.« Christoph ist sichtlich erleichtert, aus der Nummer raus zu sein. Sieben Minuten vor Trauungsbeginn fahren wir am Standesamt vor. Unterwegs habe ich, artistengleich, mein Strumpfband ausgezogen und um die Blumen gebunden. So habe ich wenigstens keine losen Stängel in der Hand. Und wo das Strumpfband getragen wird, kann bei der Glücksverteilung ja keine besondere Rolle spielen. War eh nur Dekoration. Ich trage keine halterlosen Strümpfe. Bei meinem Glück rutschen die mir im entscheidenden Moment und baumeln dann um die Waden.
Aber Heike, meine Freundin aus München, hat mir oft genug gesagt, dass man den Spruch, »Something old, something new, something borrowed, something blue«, beim Heiraten auf jeden Fall beherzigen muss. Als ›something old‹ könnte ich fast gelten, das Kleid ist neu, das Strumpfband geliehen, und weil mir nichts Besseres eingefallen ist, habe ich halt eine blaue Unterhose angezogen.
50 Minuten später ist
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