Familienpackung
»Der Hund kann nichts dafür, der Mensch hat ihn zu dem gemacht, was er ist. Diese Hunde sind Opfer und brauchen eine Chance.« Birgit hat, von so viel Pathos ergriffen, genickt und unter dem sanften Druck der Heimleitung sofort für den Tierschutz gespendet. Schon, um sich alle Chancen offen zu halten. Trotzdem wollte sie dem weißen schiefbeinigen Staffordshire, mit dem bezeichnenden Namen Chef, kein neues Heim bieten. »Wenn er einen Maulkorb trägt, ist er völlig ungefährlich«, hat die Leiterin beteuert und dem böse guckenden Tier über den Kopf gestreichelt. »Chef ist
wie geschaffen für Sie. Ein Hund mit Charakter, der sich nicht alles bieten lässt. Sie wollen doch ein Wesen mit eigenem Willen. Kein unterwürfigen Wedel-Hund.« Birgit ist standhaft geblieben. Sie hat sich nicht mal getraut, Chef anzufassen, und noch weniger, offen einzugestehen, dass ihr ein etwas unterwürfigeres Exemplar doch lieber wäre. Der dreibeinige Foxterrier, Karlchen, der ihr auf Anhieb gefallen hat, vielleicht auch, weil er kaum Auslauf braucht, war leider nicht kindertauglich. »Er hasst Kinder«, hat die Leiterin mit viel Wehmut in der Stimme erklärt. »Zu Recht. Sie machen ihn nervös. Kein Wunder, dass er da schnappt.« »Hunde sind sowieso bessere Kreaturen als Menschen«, hält die Leiterin meiner Schwester dann noch einen kleinen Vortrag über den Hund an und für sich. »Das Tier ist ehrlich. Und enttäuscht einen nicht«, hat sie Birgit mitgeteilt, »Ich bin nur noch mit Tieren zusammen.« Birgit fand, dass man das auch sehr gut riechen konnte. Nach diesen Erfahrungen im Tierheim hat sich Birgit erneut an den Züchter gewandt. Fast schon flehend. »Gut«, hat er sich erweichen lassen, »kommen Sie noch mal her. Aber mit Ihrer Familie. Ich muss mir einen Gesamteindruck verschaffen.« Birgit hat die Familie regelrecht vorbereitet. Hat sie genau gebrieft, Antworten trainiert und ist dann, nachdem sie mindestens drei Retriever-Aufzucht-und-Pflege-Bücher gelesen hat, nochmal ins Saarland gerauscht. Der Züchter war, trotz allem, mäßig beeindruckt. »Ihr Sohn ist doch noch arg klein für einen Hund, nicht dass der mein Tier quält«, äußerte er Bedenken. Birgit war kurz davor, aufzugeben oder einen Kanarienvogel zu kaufen.
Doch dann wendete sich das Blatt: Eine, die auf der Welpenliste vor ihr stand, hatte dem Züchter beim Abholen des
Welpen gesagt, dass der Hund in den Zwinger käme, um aufs Haus aufzupassen. Der Züchter ist vor Entsetzen fast ins Koma gefallen. Und meine Schwester um einen Platz vorgerückt. Einen entscheidenden Platz. Sie wollte einen Rüden, hat aber eine Hündin bekommen. »Passt besser zu Ihnen«, hat der Züchter entschieden. »Ich verteile die Welpen.« Wenn der wüsste. Birgit ist eine absolute Männerfrau. »Weniger Testosteron ist eigentlich immer besser«, habe ich sie damals getröstet.
Seitdem ist meine Schwester Hundebesitzerin und im Umgang mit dem Hund, den sie Athene getauft hat, fast besorgter als mit ihren Kindern Desdemona und Siegfried. Was einiges heißen will, denn Birgit macht auch ein ziemliches Geschiss um ihre Kinder.
Mit ihrem heutigen Anruf erinnert sie mich daran, dass ich heute als Hundesitterin zugesagt habe. »Du weißt, Andrea, wir müssen zu Kurts Mutter auf den Geburtstag. Athene schläft heute bei euch. Ich bringe sie dir gleich vorbei. Wie besprochen.« Verdammt, das hatte ich vergessen. Aber was soll’s. Auf einen mehr im Haus kommt es ja auch nicht an. Ich tue so, als wäre alles klar. »Ich warte schon auf euren Rassehund. Freu mich sehr«, schwindele ich ein wenig. Wenigstens Mark ist über den angekündigten Besuch hoch erfreut. Er liebt den Hund. Wenn wir bei meiner Schwester sind, hockt er stundenlang neben dem Tier und streichelt dran rum. Wenn sein Cousin es ihm erlaubt. Einen Hund zu haben ist ein Top-Trumpf unter Kindern. Kommt wahnsinnig an und ist beim Angeben ungeschlagen. Dass der Hund ohne den strengen Mitbesitzer Siegfried kommt, findet Mark noch toller. Meine Freude hält sich in Grenzen. Der Hund ist nett, aber durchaus anspruchsvoll.
Und er haart immens, aber einen Tag werde ich schon überstehen.
Dann gehen Sigrid und ich heute Mittag eben ausgiebig Gassi. Man kann ja auch beim Spazierengehen reden. Und gleichzeitig was für die Figur tun. Nicht, dass Sigrid das nötig hätte, aber mir schadet Bewegung sicher nicht.
Birgit steht schon eine halbe Stunde später vor meiner Haustür. Der Hund, Athene, hat mehr Gepäck als mein Mann für
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