Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)
einmal eine verwöhnte Upperclasstussi, dass sie nicht das Kind ihrer Eltern sei. Ich fragte mich, was hinter dem ganzen Getue steckte. Doch so, wie wir uns getrennt hatten, würde ich das wohl nie herausfinden.
Ich gönnte mir ein großes Glas Amrut und legte mich aufs Sofa. Die Arme hinter dem Kopf verschränkt, beschloss ich, ein wenig nachzudenken. Über mein Leben, meine Beziehung, meinen Job, meine Zukunft. Was einen mit fünfunddreißig halt so umtreibt, wenn’s grad mal nicht so läuft.
Das Klingeln des Telefons ließ mich aus dem Halbschlaf hochschrecken. Den Lichtverhältnissen nach musste es inzwischen früher Abend sein, durch das offene Fenster drangen die Geräusche des auflebenden Quartiers herein. Benommen nahm ich den Anruf entgegen.
»Wo warst du gestern Abend?«, schnarrte mich Manju ohne Einleitung an. »Ich habe tausend Mal versucht, dich zu erreichen!«
Dunkel erinnerte ich mich an das konstante Vibrieren in meiner Hosentasche, als ich spätnachts nach Beendigung meiner Observation von Raphael Fontana im hyperschicken Privé Club an der Bahnhofstrasse zur Wiederherstellung der Bodenhaftung ins Meyer’s beim Lochergut getorkelt war. Doch die benötigten Gehirnzellen, die eine Verbindung zwischen Vibration und Telefonanruf hergestellt hätten, waren zu dem Zeitpunkt bereits zum Tode verurteilt und hatten den letzten Dienst verweigert.
»Ich …« Mein Mund fühlte sich an, als hätte ich an einem laufenden Haartrockner gelutscht. Rasch befeuchtete ich meine Schleimhäute mit einem Schluck lauwarmen Amruts .
»Und du trinkst schon um diese Zeit?« Sie ließ ein missbilligendes Schnalzen hören. Seit etwas mehr als einem Jahr waren wir ein Paar und ich hatte zeitweise das Gefühl, sie könne in mir lesen wie in einem offenen Buch. Was wohliges Vertrauen hätte auslösen müssen, versetzte mich regelmäßig in Panik. Es gelang mir kaum, etwas vor dieser Frau geheim zu halten. Heute schon gar nicht.
»Vijay, ich muss dich um etwas bitten. Ein absoluter Notfall!«
Eine kleine Pause entstand, bis ich begriff, dass sie auf ein aufmunterndes Geräusch meinerseits wartete. Unverzüglich stieß ich ein solches aus.
»Da ist dieser Privatanlass heute Abend und eine meiner Angestellten ist krank geworden. Könntest vielleicht du …?«
»Aushelfen? Dabei handelt es sich um Gästebetreuung, das ist dir schon bewusst?«
»Durchaus.«
»Du wirst dich schämen. Es wird Scherben geben, Empörung und Tränen. Dein Ruf wird ruiniert und niemand wird dich je wieder für irgendetwas engagieren!«
»So kurzfristig finde ich keinen Ersatz.«
»Du meinst: kein indisch aussehendes Personal.«
»Nun ja …«
»Schon wieder so ein Ethnozirkus! Muss ich in bunte Gewänder gehüllt die Tablas schlagen? Einen Turban aufsetzen, mit dem Kopf wackeln und lustige Grimassen schneiden? Wie in einem Bollywoodfilm tanzen? Mir einen ulkigen Akzent zulegen?«
Seit drei Jahren arbeitete Manju jetzt im Laden meiner Mutter und führte mittlerweile das integrierte Restaurant gemeinsam mit ihr. Die zahlreichen Cateringaufträge am Abend hingegen organisierte sie ganz allein. Diese Stellung hatte sie sich hart erarbeitet, denn wie bereits erwähnt, war meine Mutter keine Frau, die Geschäftsbücher oder Kochlöffel leichtfertig aus der Hand gab. Doch Manju hatte es geschafft, ihr Vertrauen zu gewinnen. Der Laden lief besser denn je und Manjus Spicy Masala Catering wurde von Aufträgen geradezu überrannt.
»Du musst einzig mit Tabletts herumlaufen und den Gästen Häppchen anbieten.«
»Bombensicher?«
Sie zögerte unmerklich. »Ich würde es meinen. Wenn du bis dahin keinen Whisky mehr trinkst.«
So lief das: Erst sagten sie, dass sie einen liebten, wie man war, im nächsten Moment machten sie einem genau deswegen Vorwürfe.
Trotzdem ließ ich mir Manjus Angebot durch den Kopf gehen. Sah man von meiner eher fragwürdigen Tätigkeit als Detektiv ab, fehlten in meinem Curriculum Berufserfahrung und Weiterbildungen beinahe gänzlich, hatte zumindest die Personaltante bei der Verabschiedung gemeint. Ich täte gut daran, diesen Mangel schnellstmöglich zu beheben, wenn ich wirklich einen gut bezahlten Job suchte.
»Okay«, sagte ich. »Ich bin dabei.«
Erleichtert atmete sie auf, was mir nicht entging.
Später würde ich Manju um ein Arbeitszeugnis bitten. Ein wohlwollend frisiertes natürlich.
Eine knappe Stunde später drehte ich mit dem Tablett unermüdlich Runden durch einen weitläufigen Speisesaal, der sich nach
Weitere Kostenlose Bücher