Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)
und nach mit elegant gekleideten Gästen füllte. Der Empfang fand in einer Jugendstilvilla am Kreuzplatz statt, die mitten in einem weitläufigen Park stand. Dichtes Buschwerk und ein mannshoher Eisenzaun grenzten das Grundstück gegen die vom See hinaufführenden Straßen ab, uralte Bäume sorgten für eine geheimnisvolle Stimmung wie in einem verwunschenen Garten. Obschon der einstige Glanz verblasst war, hatten weder Abgase noch Umwelteinflüsse dem noblen Charme des Gebäudes etwas anhaben können. Wie die verwaiste Botschaft eines reichen, aber längst untergegangenen Landes kam mir die Villa vor.
Dienstbeflissen bot ich das Tablett herum und reichte weiße Papierservietten, während die wohlsituierte Gesellschaft erstaunlich ungeniert und zuweilen beinahe gierig nach den von Manju selbst zubereiteten Leckereien langte. Da täuschten weder das Dior-Abendkleid noch der HSG -Abschluss darüber hinweg: Am Büffet, beim Stehempfang oder an jedem anderen Anlass, bei dem man aufgefordert war, sich selbst mit Nahrung einzudecken, brach unweigerlich die wahre Natur des Menschen durch. Und die war aller Evolution zum Trotz immer noch auf eine karge Höhle programmiert, die es angesichts des nächsten eisig kalten Winters mit Vorräten zu füllen galt.
Wobei ich anmerken muss, dass sich Manju tatsächlich ins Zeug gelegt hatte: In klitzekleinen Schälchen wurden knusprige Pakoras , Gemüsepuffer, und Samosas mit Kartoffel-Erbsen-Füllung zusammen mit einem Klacks scharfem Ananaschutney serviert, die diversen Currys mit Linsen oder Hühnchen und eine mit Koriander dekorierte, milde Mulligatawnysuppe hingegen in daumengroßen Gläschen. Dazu gab es gegrillte Hähnchenflügel in Tandoorimarinade, Hackfleischbällchen aus dem Ofen und winzige Krevettenspieße. Wie so oft galt auch hier die Regel: je kleiner die Häppchen, desto kostspieliger der Anlass.
Unterstützt wurde ich von Manjus Bankettaushilfen, drei ausnehmend hübschen Inderinnen, die alle einen purpurroten Sari mit auffälligen Goldverzierungen trugen, während ich und ein eigens für den Barbetrieb eingestellter junger Mann namens Ramu in klassischer schwarz-weißer Kellnermontur servierten. Ein eingespieltes Team, Manju hatte den Frauen kaum Anweisungen geben müssen.
Mir hingegen flüsterte sie in einem unbeobachteten Moment zu, dass sie mich sehr wohl im Auge behalten würde, und wies dabei wissend auf ihre Mitarbeiterinnen, von denen sich gerade jede ein neues Tablett voller Häppchen schnappte. Ich verzichtete auf die rhetorische Frage, weshalb sie mich nicht an die Bar eingeteilt hatte, setzte meine unschuldigste Miene auf und tat es den Damen gleich.
Um halb neun war die Party in vollem Gange. Frau Wettstein, die rührige Gastgeberin, hatte mit der Dekoration viel Aufwand betrieben: In den Ecken des Raumes flackerten Kerzen in silbernen Kandelabern, die Wände waren mit orientalischen Wandteppichen geschmückt und auf den Bartischen leuchteten kupferne Öllämpchen, wie man sie in Indien zu Diwali , dem Lichterfest, einsetzt.
Zusammen mit dem verblassten Prunk des Hauses und dem würzigen Geruch von Manjus Köstlichkeiten gelang es ihr so, eine ziemlich authentisch indische Atmosphäre zu erzeugen. Beinahe kam man sich vor wie in einem alten Maharadschapalast.
Unter den üppigen Kronleuchtern zirkulierte derweil eine illustre Gästeschar, die sich gut zu kennen schien. Immer wieder fielen sich nicht mehr ganz taufrische Frauen, die ein geradezu unbekümmertes Verhältnis zu chirurgischen Eingriffen und deren offensichtlichen Resultaten an den Tag legten, mit spitzen Schreien in die Arme und setzten Küsschen in die Luft. Derweil sich die Männer – die älteren grau meliert und mit steifem Anzug, die jüngeren mit lose um den Hals gelegten Seidenfoulards und schicken Designerhornbrillen – im Hintergrund hielten und blasiert in die Runde grüßten.
Ich setzte ein Lächeln auf, während ich mich mit meinem Tablett durch die Menge schob, doch so sehr ich mich auch abmühte, bei meinen Kolleginnen schien das viel anmutiger und nicht ansatzweise verkrampft zu wirken.
»Versuch’s weiter«, ermunterte mich Manju, als ich zum wiederholten Mal in der Küche das leere Tablett gegen ein volles austauschte. »Bislang machst du dich erstaunlich gut.«
Beschwingt von ihrem Lob drehte ich eine weitere Runde durch den Saal. Die ersten Gäste hatten an der Bar bereits kräftig Champagner oder Mango Daiquiri getankt, sodass der Lärmpegel allmählich
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