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Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)

Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)

Titel: Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sunil Mann
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wuchernden Büsche hinter dem Haus hinunter.
    »So viel Platz«, bemerkte sie wie zu sich selbst. »Diese Bäume und der wunderbare Park! Ideal für Kinder!«
    Sie hob den Kopf. Geistesgegenwärtig wich ich ihrem Blick aus und studierte mit konzentriert gerunzelter Stirn die Aufschrift auf meinem Zigarettenpäckchen, als gäbe es für mich momentan auf der ganzen Welt nichts Fesselnderes als die Meldung, dass Rauchen tödlich sei.
    »Der Spielplatz ist toll, einen Sandkasten könnte man einrichten und da vorn wäre vielleicht ein kleiner Pool ganz schön …«
    »Ich geh dann mal rein«, brummte ich, trat die Kippe aus und verließ eilig den Balkon, doch Manju kam mir nachgelaufen.
    »Auch das Haus ist riesig! Sieh dir mal den Grundriss an!« Sie deutete auf einen schwach erleuchteten Korridor, der tiefer ins Gebäude hineinführte, wie der Rest der Villa aber heruntergekommen und renovationsbedürftig war.
    »Raum genug für mindestens drei Kinderzimmer! Oder mehr sogar, ein ganzes Stockwerk!«
    Entsetzt fuhr ich herum, erst da sah ich ihr freches Grinsen.
    »Jetzt hast du es mit der Angst gekriegt, was?«
    »Du, noch ein Wort und ich …« Drohend ging ich auf sie zu, doch sie ergriff kichernd die Flucht. Ich erwischte sie kurz vor der Balkontür und wirbelte sie um die eigene Achse. Einen Moment lang presste sie heiß ihre Lippen auf meine, bevor sie mich wegstieß.
    »Wir haben zu tun, Vijay!«
    Sie bemühte sich um einen geschäftigen Gesichtsausdruck, der ihr nur halb gelang.
    »Ach, hier sind Sie ja!« Frau Wettstein erschien im Durchgang zur Treppe und Manju löste sich hastig von mir.
    »Bleiben Sie nur! Ich wollte Ihnen nur sagen, wie toll Sie das organisiert haben mit dem Service und der Bar und überhaupt. Ich bin restlos begeistert und werde Sie gern weiterempfehlen!«
    »Vielen Dank, Frau Wettstein.« Bescheiden senkte Manju den Kopf.
    »Gibt’s noch mehr von diesem wahnsinnig köstlichen Kulfieis? Da ist Safran drin, nicht?«
    »Richtig, Safran und Kardamom, Pistazien und fein gemahlene Mandeln. Ich schaue gleich nach, ob etwas übrig ist.«
    Mittlerweile servierten die drei Inderinnen unten im Saal Desserts in ebenfalls klitzekleinen Schälchen. Nebst besagtem Eis auch Gulab Jamun , frittierte Sauermilchkugeln in Zuckersirup, und Halwa , eine Art süßer Brei aus Karotten, Rosinen und Nüssen.
    »Ich komme gleich!«, rief ich Manju hinterher, die Frau Wettstein nach unten folgte, doch sie bedeutete mir mit einer Handbewegung, es gemächlich anzugehen.
    Was ich mir nicht zweimal sagen ließ. Ich ging wieder hinaus auf den Balkon und lauschte den Verkehrsgeräuschen, die vom Kreuzplatz herüberwehten.
    Ich kam mir an Anlässen, bei denen ich den typischen Inder geben musste, immer etwas merkwürdig vor. Als würde ich eine einstudierte Rolle spielen. Natürlich konnte ich meine Abstammung weder emotional und schon gar nicht optisch verleugnen. Aber wenn ich wie hier explizit auf mein Indischsein reduziert wurde, fühlte es sich irgendwie genauso aufgesetzt an, wie wenn ich am ersten August, dem Nationalfeiertag der Schweiz, die Landeshymne auf dem Rütli gesungen hätte.
    Dass ich in der Schweiz geboren und aufgewachsen war, hatte mich am Ende genauso stark geprägt wie die indische Lebensweise meiner Eltern, entsprechend konnte ich mich nicht einfach über eine ethnische Zugehörigkeit definieren. Es hatte eine Zeit gegeben, als ich es dennoch versucht hatte, doch ich hatte dabei stets den Eindruck gehabt, zwischen den Dingen zu stehen. Gleichzeitig hatte etwas Wichtiges gefehlt, ich hatte mich nicht komplett gefühlt.
    Manche Einwanderersprösslinge der zweiten Generation passten sich ja mit einem solchen Eifer an ihre neue Heimat an, dass sie sich Schweizer Flaggen übers Bett hängten, rechtskonservative und demzufolge wenig ausländerfreundliche Politiker wählten und sich grundsätzlich schweizerischer als die Schweizer verhielten. Andere wiederum fanden hier alles nur scheiße und idealisierten das Herkunftsland ihrer Eltern, wo selbstverständlich alles besser und schöner war. Ich selbst hatte eine Überidentifikation mit einem der beiden Länder stets vermieden, denn mittlerweile hatte ich akzeptiert, dass beide Kulturen in mir vereint waren und ich weder die eine noch die andere ausblenden konnte. Schubladendenken funktionierte bei mir nicht, und in all den Jahren hatte ich keine eindeutige Antwort auf die gern gestellte Frage gefunden, ob ich mich eher als Schweizer oder als Inder fühlen

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