Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)
wohlwollend übersetzt hätte. Er war ein umschwärmtes Mitglied der Zürcher Jeunesse dorée , was nicht unwesentlich an seiner unermüdlichen Feierlaune lag und den von ihm geschmissenen Champagnerrunden. Kreise, in denen Freundschaften geschlossen wurden, während man sich gemeinsam mit einem zusammengerollten Hunderter im Nasenloch über einen Klodeckel beugte. Kreise auch, in denen das Ausüben einer geregelten Arbeit belächelt wurde und Charakter als maßlos überschätzt galt.
Die kursierenden Gerüchte bezüglich Raffis immenser Spielschulden und drohendem Bankrott wurden jeweils mit der standesüblichen Vehemenz dementiert, drei Klagen wegen sexueller Nötigung waren nach außergerichtlichen Einigungen fallen gelassen worden. Von seiner Familie drang kaum etwas an die Öffentlichkeit, es wurde aber gemunkelt, der Vater sei ein hohes Tier und finanziere den ausschweifenden Lebenswandel seines Sprösslings zähneknirschend mit.
Aus der Boulevardpresse wusste ich, dass Fontana in den letzten Jahren eine Handvoll Unfälle verursacht hatte, meist wegen Raserei oder Fahrens in betrunkenem Zustand. Laut meinen Unterlagen litt er an einem Schleudertrauma, doch es bestand der Verdacht, dass dieses nur vorgetäuscht war, um sich unrechtmäßig Versicherungsleistungen auszahlen zu lassen. Die Röntgenbilder taugten als Beweismaterial nichts, da auf ihnen diese Art von Verletzung normalerweise nicht ersichtlich war und manche Ärzte einem gut situierten Patienten lieber Arbeitsunfähigkeit attestierten, als ihn zu verlieren. Ich musste den jungen Mann auf andere Weise des Betrugs überführen.
Glücklicherweise war Raffi kein Frühaufsteher und seine Vorliebe, ganze Nächte in – für meinen Geschmack meist zu schicken – Bars und Klubs zu verbringen, kam meinem eigenen Lebensstil entgegen. Die Spesenabrechnung würde wohl für einiges Stirnrunzeln sorgen, andererseits verlangte man von mir ja ausdrücklich, dass ich Raffis Tagesabläufe lückenlos dokumentierte. Das forderte eine perfekte Camouflage.
Ich nippte also an meinem Gin Tonic, den ich als erfrischende Alternative zum üblichen Whisky bestellt hatte, und observierte vom Tresen aus.
Raphael Fontana hatte es sich mit zwei Damen, deren spektakulär kurze Designerkleidchen zusammen mit einem wenig subtilen Make-up missverständliche Signale bezüglich ihrer beruflichen Tätigkeit aussandten, auf einem der Sofas in der Nähe der Fensterfront bequem gemacht.
Wie immer wirkte der junge Mann fahrig, der Blick schweifte selbst im Gespräch unstet umher, seine linke Ferse stampfte dazu unablässig einen rasenden Technorhythmus. Als stünde Raffi unter Dauerstrom. Eine tägliche Ritalindosis hätte wohl Wunder bewirkt, doch angeblich war er eher aufputschenden Substanzen zugetan. Beweise, um diese Gerüchte zu untermauern, gab es bislang keine, doch ich wusste, dass die Boulevardpresse seit Monaten nach einschlägigen Fotos geiferte. Wahrscheinlich war jedoch nichts dran. Ich hatte den Mann in den letzten Wochen beinahe rund um die Uhr vor meiner Nase gehabt, dabei wäre mir garantiert aufgefallen, hätte er seine eigene in irgendwelche Pülverchen gesteckt. Mittlerweile war ich mit Raffis Tagesablauf ziemlich vertraut und machte in gewissen Abständen Fotos, um der Versicherung gegenüber meinen Arbeitsaufwand dokumentieren zu können.
Doch eigentlich war wenig Aufregendes an seinem Leben: spät aufstehen, ein paar Drinks mit hübscher Begleitung zur Mittagsstunde, danach ein paar Stunden Arbeit an seinem Laptop, gerne für jedermann sichtbar in der Öffentlichkeit. Was er beruflich genau machte, war mir nicht ganz klar. Gelang es mir hin und wieder, einen Blick auf seinen Bildschirm zu erhaschen, war er meist auf Facebook eingeloggt.
Später verschwand er für anderthalb Stunden im Fitnessstudio und machte sich anschließend in seiner Loftwohnung im Kreis 4 für das Diner mit vorherigem Apéro bereit, meist in einem angesagten Lokal, immer mit attraktiven, wenn auch wechselnden Damen. Kein Hinweis darauf, dass er an irgendeinem Gebrechen litt, allerdings sah ich ihn auch nie selbst etwas anheben oder schleppen. Und beim Sport wurde er von einem Privattrainer begleitet, der ein schonendes Muskelaufbauprogramm für ihn zusammengestellt hatte.
Bislang fehlten die eindeutigen Anzeichen für Betrug. Die Versicherung hatte sich wahrscheinlich geirrt. Angesichts meiner finanziellen Lage hatte ich jedoch beschlossen, meinen Befund erst in ein paar gut bezahlten
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