Familienpoker: Vijay Kumars vierter Fall (German Edition)
wie vom Erdboden verschluckt. Blitzschnell checkte ich alle Hauseingänge ab, doch ich war so nah an ihm dran gewesen, dass ich einen rasselnden Schlüsselbund oder das Zuklappen einer Tür garantiert gehört hätte. Zudem verkehrte Raffi eigentlich nicht in solch abgehalfterten Wohnungen, wie sie hier zu finden waren.
Achtsam lief ich in die Straße hinein und nahm nach wenigen Metern eine Bewegung in einem Hinterhof wahr. Sofort drückte ich mich an die Wand und linste vorsichtig durch die tunnelähnliche Einfahrt.
Raffi lungerte vor der rückwärtigen Tür eines der schäbigen Wohnhäuser herum, die noch nicht dem Renovierungswahn in diesem Quartier zum Opfer gefallen waren. Er hatte mir den Rücken zugedreht und blickte immer wieder zu den oberen Stockwerken hinauf. Auf Zehenspitzen trat ich in den Durchgang, während ich gleichzeitig die Kamera aus meiner Umhängetasche nestelte. Drehte sich Raffi jetzt um, flog ich auf und konnte mir das Auftragshonorar ans Bein streichen. Zu meiner Erleichterung öffnete sich in diesem Augenblick die Hintertür und ein muskulöser Mann mit blondem Bürstenschnitt trat in einem glänzend blauen Trainingsanzug heraus. Per Handschlag begrüßte er Raffi.
Ich nutzte die günstige Gelegenheit, hastete die letzten Meter bis zum Ende der schattigen Einfahrt und duckte mich dort hinter einen nah am Haus stehenden Geländewagen. Ein schabendes Geräusch erklang, als meine Tasche an der Wand entlangstreifte. Mit angehaltenem Atem beobachtete ich durch die Seitenfenster des Offroaders, wie Raffis Fitnesstrainer – den ich sofort erkannt hatte – misstrauisch die Augen zusammenkniff und jeden Quadratmeter des Innenhofs rasterte. Ich rührte mich nicht. Erst als sich der Trainer wieder mit Raffi beschäftigte, rückte ich weiter hinter das Auto und streckte gleichzeitig die Hand mit der Kamera vor. Dank des Displays konnte ich so problemlos beobachten, was sich vor dem Hauseingang abspielte. Gerade übergab der Fitnesstrainer Raffi ein halbes Dutzend Plastiksäckchen und verschwand, nachdem er bezahlt worden war, sofort wieder im Haus. Ich drückte ein paar Mal ab, während sich Raffi unverzüglich aus einem der Beutel bediente und das weiße Pulver direkt von der Fingerspitze schnupfte. Jetzt wurde mir klar, wie er den Nachmittag mit den beiden Damen zu gestalten dachte.
Ich besah mir die gestochen scharfen Bilder und konnte mein Glück kaum fassen. Die Aufnahmen waren Gold wert. Gleich anschließend würde ich meinen besten Freund José anrufen, der als Journalist bei einem Gratisblatt arbeitete, und ihn fragen, wie viel der ungefähre Marktwert für Fotos von Raphael Fontana betrug, auf denen er am helllichten Tage kokste. Meine Geldsorgen war ich auf alle Fälle los. Nun dämmerte mir auch, wo Raffi normalerweise seinen Stoff kaufte: im Fitnessstudio bei seinem Privattrainer.
Obschon ich selbst Mitglied im Klub geworden war, um ihn während des Trainings beobachten zu können – ich sollte ja beweisen, dass er körperlich keineswegs beeinträchtigt war –, war es mir unmöglich gewesen, den beiden Typen jedes Mal bis in die Männergarderobe zu folgen, das wäre mit der Zeit doch aufgefallen. Der günstigste Moment, um unauffällig ein kleines Geschäft zu tätigen: Man lässt den Garderobenschrank offen stehen, wendet sich kurz ab, während der andere den Betrag reinlegt und gleichzeitig die Plastiktütchen an sich nimmt.
Dass er heute seinen Dealer zu Hause aufsuchte, musste mit seinen beiden Begleiterinnen zu tun haben, anders konnte ich mir nicht erklären, weshalb der sonst so vorsichtige Raffi jegliche Diskretion außer Acht ließ.
Plötzlich hob Raffi den Kopf, zog die Nase hoch und steuerte zielstrebig auf den Durchgang zu. Hastig bewegte ich mich rückwärts, dabei entglitt mir die Kamera und fiel mit einem hohlen Klackgeräusch auf den Asphalt. Ich erstarrte und horchte angespannt auf Schritte, doch alles blieb still.
Geräuschlos ließ ich mich aus meiner Kauerstellung auf die Knie nieder, schob die Kamera hinter den Vorderreifen des Geländewagens und guckte unter dem Auto hindurch. Nichts. Keine weißen Ferragamo-Sneakers mit hellbraunen Wildlederapplikationen. Zentimeter um Zentimeter kroch ich nach vorn, doch als ich das Geräusch aufsetzender Sohlen hörte, war es bereits zu spät. Eiskalt drückte sich der Lauf einer Pistole an meine Schläfe. Raffi musste sich zwischen zwei geparkten Wagen hochgestemmt haben.
»Die Kamera!«, blaffte Raphael Fontana.
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