Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Familientherapie ohne Familie

Titel: Familientherapie ohne Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Weiss
Vom Netzwerk:
ersten Sitzung bezeichneten. Das hört sich so an:

    »Ich habe eine Aufgabe für Sie, die Sie bitte bis zur nächsten Stunde machen sollen. Ich möchte, dass Sie zwischen heute und dem nächsten Mal ganz genau beobachten, was sich in Ihrem Leben ereignet, von dem Sie sich wünschen, dass es sich auch weiterhin ereignen soll.« 8 Der Therapeut bittet den Patienten, diese Beobachtungen zu notieren und das nächste Mal davon zu berichten. Wieder ist das eine Technik, die in korrespondierender Offenheit zur Diffusität der Beschwerden geeignet ist, nach Ausnahmen zu suchen. Der Patient soll also nach den Situationen suchen, die er gerne möglichst oft erleben möchte. Das sind dann Ausnahmen zu den diffusen Beschwerden und damit ein Anhaltspunkt für eine mögliche Intervention.
    Mit dem dargestellten Schema im Hintergrund ist der Therapeut während der Stunde immer auf der Suche nach möglichen Lösungen. Ähnlich dem traditionellen Vorgehen richtet er dann die Aufmerksamkeit auf die Abläufe (eventuell die Psychodynamik) der spontanen Ausnahmen oder denkbaren Lösungen.
    Manchmal mag dem Therapeuten schon während des ersten Teils der Sitzung eine Idee zur Intervention kommen. Meist wird er – besonders wenn er noch nicht Routinier ist – nur einige wenige positive Ansätze finden und ansonsten eine Flut von Problemen. Wie sollte es auch anders sein, schließlich kommen die Patienten ja deswegen zu ihm. Durch die andere Fragetechnik wird der Patient jedoch sehr bald einen Druck von sich genommen spüren. Er wird sich aufgewertet fühlen, die Erwartungsangst wird von ihm weichen, da er nicht verurteilt wird, sondern, im Gegenteil, seine bisherigen Leistungen anerkannt werden.
    Der Therapeut wird nach 40 oder 50 Minuten eine vorher angekündigte Pause einlegen. Sofern vorhanden, wird er sich mit den Kollegen hinter dem Spiegel beraten. Die Anwesenheit der Kollegen ist dem Patienten vorher mitgeteilt worden. Das ist umso selbstverständlicher, je offener der Therapeut
selbst damit umgehen kann. Auch wenn die Kollegen hinter der Scheibe an den Einwegspiegel klopfen, akzeptieren das die Patienten, sofern klar ist, dass sie zu ihrem Nutzen ein Team von Mitarbeitern zur Verfügung haben und die Situation durch Offenheit keine Spur von Voyeurismus trägt. In der Diskussion mit den Mitarbeitern schält sich meist ein bestimmtes Vorgehen heraus, das sinngemäß auch in der Situation als Therapeut ohne Team gilt. Zuerst herrscht eine Phase der Unstrukturiertheit, in der man ungefiltert die Gedanken herauslassen sollte, die einem gerade im Kopf herumgehen. Das mögen unfreundliche sein (»Diesem Mann kann man ja auch nur untreu werden«) oder bedrückte (»Da kann man sich wirklich nur noch umbringen«) oder gleichgültige (»Bei dem fällt mir überhaupt nichts ein«). Dadurch wird der Kopf frei zum Weiterdenken und gleichzeitig lassen sich die geäu ßerten Gefühle als Hinweis auf das Geschehen während der Sitzung mit verwenden. (Dieser Teil ähnelt also sehr stark dem Mailänder Modell.)
    Danach folgt der Austausch, die Wertung des Gesehenen und damit die vielleicht kreativste Phase der Teamarbeit, die selten beschrieben wurde. Hier zeigt sich, wie gut ein Team zusammenarbeiten kann, wo versteckte Rivalitäten bestehen oder im Gegenteil der freie Fluss von Ideen, die sich gegenseitig befruchten. Im BFTC fand ich gerade die Offenheit der Diskussion sehr angenehm, in der alle Äußerungen, auch absurde oder auf den ersten Blick lächerliche, erst einmal gleichrangig geprüft wurden – unabhängig davon, von wem die Ideen stammten. Diesen Prozess zu beschreiben fällt schwer, es ist wie die Beschreibung der Kreativität selbst. Dennoch, und besonders in der Arbeit als Therapeut alleine, kann man sich eine gedankliche Schiene zurechtlegen. Dazu folgt man am leichtesten dem Aufbau der Intervention.
    Eine Intervention besteht aus drei Teilen:
    Den ersten Teil bezeichnete das BFTC selbst als »Compliments«, Komplimente. Diese Bezeichnung scheint mir eher eine Untertreibung zu sein. Tatsächlich wird in dem ersten
Teil sehr spezifisch zusammengestellt, was der Patient bisher an Leistungen erreicht hat, wo seine Fähigkeiten liegen, was an der Situation besonders lobenswert erscheint. Die hier zusammengestellten Bemerkungen sind keine leichthin gesagten Komplimente, sondern sehr spezifisch auf das Wertesystem des Patienten gemünzte Aussagen. So mag man bei einem sehr konservativen, älteren Beamten seinen Sinn für Tradition und

Weitere Kostenlose Bücher