Familientherapie ohne Familie
Sie bereits gute Erfahrungen gemacht. Zwei Jahre das Gewicht zu halten, ist wirklich keine Kleinigkeit. Das schaffen nicht viele!«
Die Patientin fühlte sich durch die Darstellung sehr aufgewertet. Statt, wie erwartet, mit ihren »Sünden« konfrontiert zu werden, zeigte ich ihr die Stärken. Sie schlug dann von sich aus eine weitere Nulldiät vor. Ich akzeptierte zögernd, indem ich sie vor den Unbequemlichkeiten warnte und eine Reihe von Gründen anführte, die sie veranlassen könnten, lieber nicht (oder nicht so schnell) abzunehmen. Die Patientin widerlegte mir jedes Argument mit Engagement. Schließlich gab ich auf und willigte in die Nulldiät ein. Sie nahm tatsächlich sehr schnell und fast ohne Mühe ab. Anschließend nahm sie Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe auf, um das Gewicht zu halten.
Auf diese Weise würdigt der Therapeut die Lösungsansätze oder Ressourcen des Patienten. Damit erreicht er unter anderem, dass sich sein Gegenüber innerlich öffnet. Der Patient sagt innerlich Ja zu den positiven Beschreibungen der Realität. Das ist eine günstige Voraussetzung, auch die nachfolgende – vielleicht in Teilen unbequeme – Intervention zu akzeptieren.
Wie die Interventionen aufgebaut sind, welche Möglichkeiten bestehen, aus der fast unbegrenzten Anzahl von denkbaren
Interventionen die passende auszuwählen, soll im folgenden Abschnitt besprochen werden.
Keinesfalls sollte sich der Therapeut aber innerlich unter Druck setzen, möglichst viel erreichen zu wollen, und das schnell. Der schnelle Weg zur Veränderung ist oft nur mit kleinen Schritten erreichbar. Im Zweifelsfall ist es günstiger, lediglich eine positive Symptomdeutung zu geben und den Patienten wieder einzubestellen.
Die Interventionen
In der systemischen Therapie scheint die Intervention das eigentliche Geheimnis der schnellen Veränderung zu sein. Sie soll für die raschen Ergebnisse verantwortlich sein, sie soll die eigentliche Veränderung bewirken. – Dem ist nicht so!
Was in der Psychotherapie wirksam ist – in allen Psychotherapien -, ist stets ein Konglomerat aus sehr unterschiedlichen Elementen. Die Persönlichkeit des Untersuchers, die Übereinstimmung mit dem Patienten, die Tagesform, therapeutische und persönliche Erfahrungen, die institutionellen Rahmenbedingungen, die soziale Schicht und letztlich das große und entscheidende Gebiet der Beziehung zwischen Therapeut und Patient sind nur einige wirksame Elemente einer Therapie. In Bezug auf die systemische Therapie hat sich die Aufmerksamkeit mehr und mehr besonders auf die Fragetechnik gerichtet. Schon die gestellte Frage als solche wird zunehmend als eine Form der Intervention angesehen. In dieser Beziehung war das BFTC mit den Mailänder Kollegen einer Meinung. In Mailand ging man jedoch weiter: Man vermutete, eines Tages die Fragetechnik so weit entwickelt zu haben, dass man auf eine Abschlussintervention vollständig verzichten könne. Die Überlegung basiert auf der Tatsache, dass durch Fragen Realität konstruiert wird. Aus der Fülle der denkbaren
Auffassungen der Realität können Fragen eine bestimmte Wirklichkeitsperzeption herausfiltern und so eine neue Wahrnehmung eröffnen, die in sich verändernd wirken kann.
In diesem Kapitel soll es jedoch explizit um die Interventionen gehen. Sie erscheinen dem Außenstehenden oft magisch und werden meistens mit der Antwort kommentiert: »Ja, so kann man das sehen, so leuchtet das ein, aber darauf wäre ich nie gekommen.« Wie bereits dargelegt (siehe Seite 81 ff.) folgt der Ablauf der Intervention einem Doppel- oder Dreierschritt. Zuerst das Hervorheben der Ressourcen, dann eventuell eine positive Konnotation und schließlich die eigentliche Intervention, um die es hier gehen soll.
Wenn ich im Folgenden eine Fülle von Interventionen darstelle, dann tue ich dies mit gewissen Bedenken. Gerade weil systemische Interventionen überraschende Wendungen bringen, die der Alltagslogik widersprechen, verführen sie den Anfänger dazu, sie mechanisch nachvollziehen zu wollen. Nicht aber die einzelne Intervention ist wichtig, sondern das systemische Verständnis, die Einsicht in die Abläufe und Zusammenhänge.
Gleichzeitig sind Interventionsbeispiele entscheidende Anregungen beim Erlernen der systemischen Therapie. In diesem Sinn möchte ich hier einzelne Beispiele geben, die in erster Linie die Phantasie anregen und die Wahrnehmung für das Mögliche sensibilisieren helfen sollen.
Noch einige weitere Vorbemerkungen:
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