Familientherapie ohne Familie
Interventionen im eigentlichen Sinn sind keineswegs immer notwendig. Es gilt die Regel: Lieber keine Intervention als eine, die übers Knie gebrochen ist oder nicht passt. Eine Intervention ist immer nur gut, wenn sie der Betroffene annehmen kann. Daher muss sie auf den Daten basieren, die in der Therapiestunde gewonnen wurden, und nicht auf Spekulationen über mögliche Zusammenhänge, die sich dann als falsch erweisen. Häufig ist es daher besser, keine Intervention zu geben und sich auf eine allgemeine Gabe von »Komplimenten« oder eine positive Konnotierung zu beschränken.
Gerade weil die systemischen Interventionen oft sehr eingreifend und wirkungsvoll sind, sollte sich der Neuling auf diesem Gebiet nicht dazu verführen lassen, sie vorschnell zu geben. Er wird dann möglicherweise enttäuscht werden, weil sie nicht den gewünschten Erfolg zeigen. Solche Misserfolge liegen meist an dem fehlenden Verständnis der entsprechenden Symptomatik.
Wie erwähnt, ist es auch keineswegs sinnvoll, andauernd komplizierte »paradoxe« Interventionen zu geben. Sehr viele Patienten werden nach einer guten Intervention über die neuen Erfahrungen und Einsichten sprechen wollen. Weitere gezielte Interventionen wären da künstlich.
Interventionen sollen natürlich eingebunden sein in den Therapieablauf. Sie mögen überraschend sein, doch vermittelt sie der Therapeut in einer Weise, die dem Patienten einleuchtet. Therapeuten, die Freude am Spiel und ein Gefühl für gewisse Effekte haben, sind sicher eher in der Lage, auch schwierige Interventionen überzeugend zu vermitteln.
Symptomverschreibungen, »paradoxe« Interventionen, sind in manchen Fällen nicht angebracht (siehe Seite 89 f.). Das trifft besonders für die sogenannten ich-schwachen und suizidalen Patienten zu. 17 Auch sehr kooperative Patienten, die tatsächlich einen direkten Ratschlag durchführen, benötigen keine indirekten Interventionen. Die folgenden Beispiele, die ich gebe, sind natürlich nicht vollständig (die Anzahl der Interventionen ist unendlich), doch scheint sich für mich ein bestimmtes Muster, eine Ordnung zu ergeben.
Vier Bereiche sollen beschrieben werden:
• Das Umdeuten
• Die Symptomverschreibungen
• Die Verhaltensverschreibungen
• Der Umgang mit der Stunde nach der Verschreibung
Das Umdeuten
Das Umdeuten im engeren Sinn
Das Umdeuten zählt zu den sanftesten Formen der Interventionen 18 und gleichzeitig zu den effektivsten. Im Englischen bezeichnet man das Umdeuten als »reframing« (frame = Rahmen), was den Sachverhalt besser als die deutsche Bezeichnung trifft.
Jede Kommunikation findet in einem bestimmten Kontext, einem bestimmten Rahmen statt. Alle unsere Verhaltensweisen gewinnen nur durch den Rahmen einen korrekten Sinn. (Man stelle sich etwa vor: Das Verhalten, das jemand bei der Verleihung eines Ordens zeigt, würde er im Urlaub am Strand zeigen oder umgekehrt.)
Jedes Individuum entwirft von einer bestimmten Kommunikationssituation und deren Rahmenbedingungen eine Art innere Landkarte, an der es sich orientiert. Solch eine Landkarte ist notwendig, um neue Informationen schnell sinnvoll einordnen zu können.
Durch eine Veränderung der inneren Landkarte (Umdeutung) erfolgt eine Veränderung des Verhaltens (so wie sich das Verhalten des Ordensempfängers geradezu zwangsläufig verändert, wenn er an den Urlaubsstrand versetzt wird).
Umdeutungen sind natürlich keine Spezialität der systemischen Familientherapie. Viele Therapien nützen die veränderte Wahrnehmung der Wirklichkeit, um ein neues Verhalten zu erzeugen. So fragen Fritz Simon und Helm Stierlin zu Recht, ob nicht alle Therapien auf einer Veränderung der inneren Landkarte beruhen. 19 Wenn eine depressive Patientin ihre Mutter plötzlich nicht mehr als immerzu »spendenden Engel« sieht, sondern auch als »biestige Furie«, so wird diese veränderte Wahrnehmung das Verhalten der Patientin ändern, ohne dass die Wirklichkeit verändert wurde.
Auch außerhalb der Psychotherapie werden Umdeutungen häufig angewandt. Werbung, Politik oder Erziehung benutzen beständig Umdeutungen. Wenn etwa beispielsweise
ein führender Politiker nicht fähig ist, Entscheidungen zu treffen, so wird die eigene Partei dies als Ausdruck seiner abgeklärten politischen Reife darstellen (»Politik der ruhigen Hand«) und ihn als jemanden schildern, der eben keine überstürzte Hast an den Tag legt.
Auch in Alltagsphänomenen wird man beständig Umdeutungen finden: Ein kleines
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