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Familientherapie ohne Familie

Titel: Familientherapie ohne Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Weiss
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Interview schon fortgeschrittener
ist – einen bestimmten Beziehungszusammenhang im Visier. Hier wird erneut die gegenseitige Abhängigkeit von Fragen und Hypothesen deutlich: Die Antworten auf bestimmte Fragen basieren auf Hypothesen, auf denen wieder die Fragen beruhen, die dann zu weiteren Hypothesen führen usw.
    Das Interview verfolgt in seinem Verlauf zwei Ziele:
    1. Die Entwicklung einer befriedigenden Hypothese, die erklärt, wie das Beziehungsgeflecht, in dem ein Patient lebt, mit dem jetzigen Symptom verbunden ist.
    2. Die Herausarbeitung von Lösungsansätzen, die aus dem Konflikt hinausführen können.
    Manche Therapeuten streuen mögliche Lösungen schon durch Fragen während des Interviews ein:
    »Wenn Sie in der kommenden Zeit weniger häufig Ihre Mutter besuchen und stattdessen mehr Zeit mit Ihrem Mann verbringen, wird sich das auf Ihre Beschwerden auswirken?«
    »Gesetzt den Fall, Ihr Mann wäre in Zukunft für den Kontakt zu den Schwiegereltern zuständig und Sie könnten diesen Bereich ihm überlassen. Welchen Einfluss hätte das auf Ihre Migräne?«
    Durch solche Fragen wird die Abschlussintervention vorbereitet, die dann noch einmal die Themen der Stunde zusammenfasst.
    Es wird im therapeutischen Alltag leider die Ausnahmesituation bleiben, ein Team hinter der Einwegscheibe zur Verfügung zu haben. Für Ausbildungszwecke ist das von unschätzbarem Wert. Der noch weniger erfahrene Therapeut kann sich in der Pause mit den Kollegen besprechen oder über Telefon auch während der Stunde Hinweise erhalten. Als sehr hilfreich habe ich auch Videoaufnahmen von Stunden empfunden. Dann kann die Stunde noch einmal mit einem Kollegen im Detail durchgegangen werden: Warum dieser Satz hier? Was hätte man da sagen können? Jene Bemerkung war ausgezeichnet!

    Dieses Vorgehen wird in manchen Institutionen realisierbar sein, für einen niedergelassenen Therapeuten muss es aber die Ausnahme bleiben. Was kann er tun?
    Das Wichtigste scheint mir, er sollte in jedem Fall eine Pause einlegen! Wenn die erste Phase des Interviews nach etwa 40 Minuten abgeschlossen ist, bittet er den Patienten, sich für einige Minuten im Wartezimmer zu gedulden, da er sich das Besprochene noch einmal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen wolle. Danach wolle er seine Eindrücke gerne mitteilen.
    Die Pause wird von den Patienten immer akzeptiert, besonders wenn sie vorher schon angekündigt wurde. Es ist für die meisten Patienten ein Ausdruck der Ernsthaftigkeit der Bemühungen ihres Therapeuten.
    Der Therapeut kann sich in dieser Zeit ein wenig bewegen, Kaffee trinken oder zum Fenster hinausschauen, um Distanz zu dem Gespräch zu schaffen.
    Wenn niemand weiteres anwesend ist, dem er sich mitteilen kann, empfiehlt es sich trotzdem, erst einmal die unmittelbaren eigenen Gefühle deutlich zu machen. (»Das hat jetzt Spaß gemacht! Der ging mir auf die Nerven. Mein Gott, bin ich bedrückt! Das war eine schlimme Lebensgeschichte!«)
    Je nach therapeutischer Orientierung wird der Therapeut sich Gedanken über die Bedeutung seiner Gefühle dem jeweiligen Patienten gegenüber machen: »Hat meine untergründige innere Spannung etwas mit dem Konflikt zu tun?« Diese Frage mag sich der Therapeut nach einem Interview mit einem hoch angepassten, depressiven Patienten stellen. Falls er die Frage bejaht, wird er sich eventuell entschließen, die Intervention in einer bestimmten Form vorzubringen. Statt die Spannung direkt anzusprechen, wird er sie in indirekter Weise berücksichtigen, da der Patient die Intervention sonst nicht akzeptieren würde.
    Danach kann er beginnen, die systemische Sicht nochmals zu konkretisieren, die er bereits während des Interviews durch seine Fragen – zumindest in Teilen – gewonnen hat.
Um eine gewisse Leitschiene für die Intervention zu haben, empfinde ich eine schriftliche Fixierung der Gedanken als angenehm. Dabei beginne ich im Allgemeinen mit der Anerkennung der bisherigen Verhaltensweisen des Patienten, die sinnvoll und gut waren. Dafür lasse ich mir Raum und überlege genau, wo im Leben des Patienten die wertvollen Teile liegen, was seine Stärken sind, wie er sie genützt hat, welche Teile der Symptomatik positive Folgen hatten und anderes mehr.
    Allein durch die gedankliche Beschäftigung mit den Ressourcen des Patienten gewinnt der Therapeut von ihm bereits ein neues Bild. Er entwirft somit die Wirklichkeit, die er dem Patienten vermitteln will und die genauso »wahr« ist wie die Sichtweise des Patienten,

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