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Familientherapie ohne Familie

Titel: Familientherapie ohne Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Weiss
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Wirklichkeit des Patienten im Kern schon selbst erkennen kann. Er muss sehen können, dass dieser
Anteil genauso wirklich ist wie die negativ getönte Selbstdarstellung.
Die positive Konnotation
    Bei dieser Art von Umdeutung (auch: »Die positive Symptombewertung«) wird das als funktional angesehen, was ein Patient als dysfunktional empfindet. Besonders häufig wird diese Umdeutung im Mailänder Vorgehen gewählt. Der Therapeut untersucht die Bedingungen der Symptomatik und kann eine deutliche Entlastung erzeugen, indem er dem Patienten erklärt, warum unter den gegenwärtigen Bedingungen die jetzigen Symptome wichtig sind. An die positive Symptombewertung kann sich dann die Verschreibung der Nicht-Veränderung oder eine Beobachtungsaufgabe anschließen. (»Beobachten Sie, wann es Ihnen besonders gut geht.«)
     
    Eine 23 Jahre alte Bankangestellte litt unter Ängsten und gleichzeitig unter einer Zwangssymptomatik. Es war ihr seit einigen Monaten nicht mehr möglich, ohne Begleitung der Eltern das Haus zu verlassen. Weiterhin musste sie vor dem Zubettgehen ein Zwangsritual durchführen: Sämtliche kleine Fläschchen und Tuben im Badezimmer mussten in akribischer Ordnung ausgerichtet werden, ein Vorgang, der eine Stunde oder länger brauchte.
    Eine längere Behandlung bei einem Psychotherapeuten war ohne Erfolg geblieben. In der Behandlung geriet offenbar der Therapeut in die Situation, die Patientin überzeugen zu wollen, sie solle das Haus verlassen und weniger kontrollieren.
    Folgender Hintergrund wurde jedoch deutlich (besonders durch die Frage »Was würde sich ändern, wenn die Beschwerden verschwinden würden?«). Die junge Frau hatte seit einiger Zeit einen Freund, der sie möglichst bald heiraten und mit ihr in ein eigenes Haus ziehen wollte. Sie selbst fühlte sich zwar dem Freund verbunden, dazu aber zu jung. Gleichzeitig fühlte sie sich noch ungeheuer stark an die Eltern gebunden. So stand die Angst, das Haus zu verlassen, metaphorisch für die Angst zu heiraten. Als Folge jedoch kam der Freund jeden Abend ins Elternhaus der Patientin, um bei ihr zu übernachten. Das Zwangsritual
verhinderte jedoch auch hier eine intime Beziehung: Es dauerte »zufällig« stets so lange, bis der Freund eingeschlafen war. Die Symptomatik war also ein durchaus kreativer Akt bei einer jungen Frau, die ihre Bedenken vor einer frühen Heirat nicht anders formulieren konnte.
    Als Intervention kann der Therapeut die Beschwerden positiv konnotieren (es bieten sich mehrere Interventionen an). Der Therapeut kann sein Verständnis für den Wunsch der Patientin nach Expansion und Selbstständigkeit äußern. Auf der anderen Seite sehe er aber auch, wie gut sie es zu Hause habe, wie positiv die Beziehung zu den Eltern sei usw. Er müsse deshalb auch eine andere Seite erwähnen: ihre Bedenken vor einer frühen Bindung, das zu schnelle Erwachsenwerden, die Belastung mit einem eigenen Haus. Vor all diesen Schwierigkeiten schützten sie zurzeit die Beschwerden. So lange, bis sie einen anderen Weg finden würde, mit diesen Bedenken umzugehen, halte der Therapeut die Beschwerden für das kleinere Übel, da sie ihr eine Denkpause ermöglichten. Besser vorübergehend solche Beschwerden als eine falsche Lebensentscheidung, die nicht leicht rückgängig zu machen sei.
     
    Meist schließt sich daran noch eine Aufgabe oder Verschreibung an, zum Beispiel die Aufforderung, vorerst nichts zu verändern.
    Eine andere Art der Umdeutung eignet sich besonders für streitende Ehepaare, unabhängig davon, ob diese alleine oder gemeinsam einen Therapeuten aufsuchen. Getreu der Einsicht, dass dort, wo viel Schatten ist, auch viel Licht sein muss, kann man das Verhalten entsprechend umdeuten.
    »Sie streiten zwar viel über..., ich möchte aber zu bedenken geben, dass man nur mit wenigen Menschen über einen längeren Zeitraum streiten kann. Die wesentliche Voraussetzung dafür ist eine sehr stabile menschliche Beziehung. Damit meine ich, dass man nur mit Menschen lange streiten kann, die einem wahrhaft nahestehen und zu denen man ein Vertrauensverhältnis hat, das über dem Streit steht. Gleichzeitig ist Streit eine Möglichkeit, sich emotional intensiv zu begegnen...«

    An diese oder ähnliche Umdeutungen sollte man denken, wenn ein Paar in endlose Streitereien verwickelt ist: Diese Intervention trifft fast immer zu! 23
Die Symptomverschreibungen
Die Symptomverschreibung im engeren Sinn
    Die Symptomverschreibung zählt zu den bekanntesten

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