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Familientherapie ohne Familie

Titel: Familientherapie ohne Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Weiss
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am Abend zu schätzen, ob es am nächsten Tag eintreten wird oder nicht.
    • Ob also ein herzphobischer Anfall ihn in die kardiologische Notaufnahme bringen wird.
    • Ob am folgenden Tag wieder ein Migräneanfall kommen wird.
    • Ob das Bett trocken sein wird.
    • Ob es zu einem Wutausbruch gegenüber der Ehefrau kommen wird usw.
    Zu einem bestimmten Zeitpunkt am folgenden Tag soll der Patient dann feststellen, ob er am Abend richtig geraten hat oder nicht. Die Aufmerksamkeit liegt dabei vordergründig nicht auf der Kontrolle des Verhaltens, sondern auf der Richtigkeit der Vorhersage. Damit kann bereits eine gewisse Entlastung erreicht werden. Weiterhin wird auf diese Weise der Patient systematisch und ohne es auszusprechen auf die Randbedingungen des Verhaltens aufmerksam gemacht: »Was sind denn die Unterschiede,
die entscheiden, ob der nächste Tag ein ›guter‹ oder ›schlechter‹ Tag werden wird? Wie verhalte ich mich jeweils? Was machen meine Kinder an den ›guten‹ Tagen? Warum verlaufen eigentlich die meisten Wochenenden so gut?«
    Darüber hinaus impliziert das Schätzen eine zumindest gewisse Beeinflussbarkeit des Verhaltens. Letztendlich ist es also eine Methode, um Kontrolle über ein Verhalten zu gewinnen, das auf den ersten Blick nicht beeinflussbar erscheint.
Wetten
    Ergänzt wird das Schätzen häufig durch das Wetten – eine Technik, die sicher sehr von der Person des Therapeuten abhängt. Nicht jeder Psychotherapeut möchte mit seinen Patienten Wetten eingehen. Für andere jedoch mag es eine gelegentliche, humorvolle Ergänzung der Therapie sein.
    Falls ein Team hinter dem Spiegel vorhanden ist, wird eine Wette als Intervention so aussehen:
    »Das Team hinter dem Spiegel ist sehr skeptisch. Es glaubt nicht, dass Mathias (das Kind) es schaffen kann, die Wutanfälle einfach aufzugeben. Ich dagegen glaube, dass es zwar schwer sein wird, keine Wutanfälle zu zeigen, halte es aber für möglich. Ich habe mich deshalb auf eine Wette mit dem Team eingelassen. Falls Mathias mehr als zwei Wutanfälle am Tag bekommt, gewinnt das Team, falls weniger, gewinne ich. (Zu Mathias:) Ich bin übrigens bereit, meinen Gewinn zu teilen...« – Eine Intervention, die eine gute Beziehung zwischen Kind und Therapeut voraussetzt.
    Falls kein Team vorhanden ist, kann der Therapeut auch direkt mit dem Patienten wetten. Dabei übernimmt er diesmal die skeptische Position:
    »Sie meinen also, Sie haben eine gute Chance, die ganze nächste Woche keinen Essanfall zu bekommen. Wollen wir wetten? Ich sehe zwar, dass Sie in letzter Zeit gewisse Fortschritte gemacht haben. Allerdings bin ich bezüglich einer ganzen Woche skeptisch. Ich wette mit Ihnen um fünf Euro, dass Sie mindestens einen größeren Essanfall haben werden.«
    Beide Varianten der Wette sind so angelegt, dass der Patient dann gewinnt, wenn er weniger Beschwerden hat. Falls der Patient gewinnt, wird der Therapeut ihm die Verantwortung für den Erfolg geben. Falls er allerdings verliert, sollte man sehen, inwieweit dennoch eine Kontrolle des Verhaltens vorhanden war. Wenn die Wette beispielsweise auf die Frequenz des Symptoms gerichtet ist, lässt sich im Falle einer unveränderten Frequenz das Ergebnis so interpretieren, dass es dem Patienten gelungen ist, das Symptom immer gleich zu halten. Letzteres kann als eine Form von Kontrolle angesehen werden. Solche Umdeutungen werden allerdings nicht immer praktikabel sein.
Zeitgebundene Verschreibungen 32
    Viele Symptome haben im Erscheinungsbild eine typische zeitliche Struktur. Bestimmte Beschwerden treten nur zu gewissen Tageszeiten auf, andere nur am Wochenende oder während der Arbeitszeit. Auch wenn eine bestimmte zeitliche Regelmäßigkeit erkennbar ist, empfinden die betroffenen Patienten ihre Hilflosigkeit gegenüber dem Verlauf der Beschwerden als sehr quälend. In solchen Fällen gibt es eine weitere Art, Kontrolle zu vermitteln. Zwar haben die Patienten schon unzählige Male erfolglos versucht, das Symptom zu vermeiden, doch besitzen sie die ungenützte Fähigkeit, das Symptom aktiv hervorzurufen.
    Diese Art der Kontrolle eines Symptoms erscheint auf den ersten Blick widersinnig. Doch verbessert sich die Chance der Vermeidung eines Symptoms, wenn es gelingt, das Symptom bewusst hervorzurufen.
    Am bekanntesten ist die Anwendung bei der Behandlung der Depression:
     
    Eine Witwe, Mitte 60, kam in Behandlung, da sie über Schlafstörungen und Antriebslosigkeit klagte. Es dauerte nur wenige Minuten, bis

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