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Familientherapie ohne Familie

Titel: Familientherapie ohne Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Weiss
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von der Tanzfläche in eine Ecke abgedrängt und die sie umringenden Männer begannen den Patienten unter ersten Boxhieben zu fragen, ob er wohl Streit suche.

    Wie Johannes dann berichtete, kam ihm zu seiner eigenen Überraschung der rettende Einfall. Unvermittelt wandte er sich in höflichstem Ton an den Wortführer und fragte ihn, was er wohl von der laufenden Musik halte. – Allerdings redete Johannes ihn in bestem Kings English an, das er sehr gut beherrschte. Einen Augenblick stutzte der Angeredete, dann verwandelte sich plötzlich die Lage. Innerhalb von Sekunden sah sich das Paar von einer Gruppe sehr freundlicher junger Leute umringt, die mit viel gutem Willen ihre Englischkenntnisse demonstrierten. Einer kannte auch ein Mädchen in London, ob die Johannes wohl auch kenne, wo er doch Engländer sei? Nachdem die freundliche Konversation eine Weile gedauert hatte, zog es Johannes vor, sich zu verabschieden. Zu Recht vermutete er, die neuen Freunde würden es ihm übel nehmen, wenn er seine wahre Identität zeigen würde.
     
    Auch die folgende Zeitungsnotiz 29 mag den Leser zu weiteren Anwendungen anregen:
     
    Wer in einer Bank oder Sparkasse künftig lautes Pfeifen und Singen vernimmt oder die Angestellten beim Tanzen überrascht, ist nicht auf einem Betriebsfest gelandet, sondern bei einer Übung der Mitarbeiter für das Verhalten bei Banküberfällen. Wie dem Bundesberufsgruppentag Banken und Sparkassen der Deutschen Angestelltengewerkschaft in Kassel bekannt wurde, haben Verantwortliche verschiedener Geldinstitute in internen Rundschreiben über das Verhalten bei Raubüberfällen den Beschäftigten geraten, sich »im Ernstfall«, wie es heißt, »ungewöhnlich zu verhalten«. So wird vorgeschlagen, dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Falle eines Überfalles singen oder pfeifen oder sogar tanzen sollten...
     
    Bleibt nur anzumerken, dass im Falle weiterer Veröffentlichungen man sich neue »Interventionen« zum Thema Bank überfall einfallen lassen sollte!
Die Standardintervention der ersten Stunde 30
    Wie bereits im Kapitel über das BFTC ausgeführt wurde, neigte man in Milwaukee in gewissen Situationen zu einer Standardintervention (First Session Formula Task). Diese Art
der Intervention wurde zufällig gefunden, erwies sich aber in vielen Fällen als anwendbar. Besonders wenn ein Therapeut auf der Suche nach den Ressourcen im Leben eines Patienten nur sehr unklare Antworten bekam, er also kaum Hoffnungselemente fand, gab man die Standardintervention. Sie lautet:
    »Zwischen jetzt und der nächsten Stunde beobachten Sie bitte die Dinge, von denen Sie möchten, dass sie sich möglichst oft ereignen.«
    Die sehr allgemein gehaltene Empfehlung hat verschiedene Ziele. Die Offenheit der Empfehlung soll dem Patienten alle Freiheit lassen, selbst zu bestimmen, was er darunter verstehen möchte. Die Aufmerksamkeit soll aber – vielleicht zum ersten Mal – nicht auf die Pathologie, sondern auf die Ziele und Lösungen gerichtet werden. Es ist somit eine überraschende Perspektive für Patienten, die erwarten, mehr über das Symptom und sein Auftauchen berichten zu sollen. Das Team des BFTC gab für einige Zeit regelmäßig diese Standardintervention und stellte dabei fest, dass in der nächsten Sitzung die überwiegende Mehrheit (fast 90 %) eine oder zahlreiche Situationen während der zurückliegenden Woche entdeckten, die sie als besonders positiv erlebt hatten. Das war umso überraschender, als es auch auf Patienten zutraf, die in der ersten Sitzung besonders deprimiert und hoffnungslos erschienen. Wenn also nach der ersten Stunde die Standardintervention gegeben wurde, wird der Therapeut am Anfang der folgenden Sitzung nach den Beobachtungen fragen, die der Patient gemacht hat. Oft wird dieser nicht gleich mit einer Liste von Erfolgserlebnissen aufwarten, sondern manches Erfreuliche und Unerfreuliche über die vergangene Woche berichten. Der Therapeut wird dann aus der Erzählung diejenigen Dinge herausfiltern, die im Erleben des Patienten wünschenswert waren, und sie penibel auf ihre Begleitumstände untersuchen. (»Wie haben Sie das gemacht? Was hat Ihnen dabei geholfen? Wie können Sie das häufiger erleben?«) Die Details dieser Fragetechnik sind bereits in einem früheren Kapitel dargestellt (siehe Seite 75 ff.).

    Für den Anfänger ist vielleicht der Hinweis bedeutsam, dass solche Standardinterventionen kein Allheilmittel sind. Sie richten die Aufmerksamkeit des Patienten neu aus, schaffen

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