Fanal des Blutes
Vermutlich war sie einfach überreizt, fertig mit den Nerven, am Ende ihrer Kräfte, daß sie es nicht fertigbrachte, die schäbige Arztpraxis wiederzufinden, in der sie gestern noch mit der pferde-gesichtigen Frau gesprochen hatte.
Zuerst hatte sie vorgehabt, dort anzurufen, um zu versuchen, einen neuen Termin zu bekommen. Doch überrascht hatte sie festgestellt, daß die Praxis gar keinen Telefonanschluß besaß. Also hatte sie sich aufgerappelt und war erneut hergefahren. Den Wagen hatte sie wie am Tag zuvor auf einem großen freien Platz geparkt, an dessen Rand ein paar kümmerliche Verkaufsstände versuchten, den Eindruck geschäftigen Markttreibens zu erwecken. Dann hatte sie sich zu Fuß auf den Weg zur Greenwich-Road gemacht - und sie einfach nicht gefunden.
Müde stolperte Seven vorwärts. Ihre Füße taten weh, ihre Kehle war trocken, ihr war heiß und übel. Das Kleid, das sie trug, hatte sie völlig durchgeschwitzt; es klebte unangenehm auf ihrer Haut.
»Entschuldigen Sie, Sie haben mir doch vorhin erklärt, wie ich zur Greenwich-Road komme«, wandte sie sich an die Schwarze auf den Stufen. »Ich konnte sie aber leider trotzdem nicht finden. Würden Sie's mir bitte noch mal erklären?«
»Greenwich-Road?« Die Frau kaute den Namen wie Kaugummi. »Kenn' ich nicht. Soll die hier in der Gegend sein?«
Seven schluckte den Kloß, der ihr würgend in die Kehle stieg, krampfhaft herunter.
»Aber Sie haben mir doch vorhin erklärt, wie ich hinkomme«, krächzte sie.
»Hab' ich das?« Die Frau musterte Seven von oben bis unten. Offenbar zweifelte sie an deren Verstand. Und Seven zweifelte beinahe selbst daran. »Tut mir leid, aber ich hab' Sie noch nie im Leben gesehen, Miss, und von einer Greenwich-Road hab' ich noch nie gehört.«
»Aber .« Seven verstummte. Es hatte keinen Zweck.
Einen Moment lang betrachtete die Schwarze sie noch mißtrauisch, dann erstarrte ihr Blick plötzlich, als habe sie etwas gesehen, das Seven entgangen war. Hastig stand sie auf, schnappte sich das Kind, das protestierend zu brüllen anfing, und stürzte ins Haus. Die Tür fiel krachend ins Schloß.
Gehetzt sah Seven die Straße hinauf und hinunter, aber da war nichts, was diese Reaktion der Frau hätte provozieren können.
Seven fühlte, wie ihre Kräfte sie verließen, als rännen sie unaufhaltsam aus ihr heraus, um im Boden zu versickern. Im Moment hätte sie nicht einmal mehr gewußt, wie sie zu ihrem Wagen zurückfand. Vor ihren Augen begann sich alles im Kreis zu drehen.
Mit letzter Kraft torkelte sie weiter, auf den Kiosk zu. Sie erreichte ihn gerade noch, dann sank sie im Zeitlupentempo an der Bretterwand entlang auf den staubigen Weg.
Die Betreiberin des Büdchens wuchtete ihre Leibesfülle aus dem winzigen Verschlag heraus und blickte mißtrauisch auf das hilflose Bündel Mensch zu ihren Füßen hinab.
»Was'n mit dir los, Kindchen?« dröhnte ihre herbe Stimme.
»Helfen . Sie mir«, stöhnte Seven noch, dann wurde es dunkel um sie her .
*
»Hey Marc, hier habe ich zwei Typen, die sich ziemlich auffällig für die Conen-Farm interessiert haben.«
Der nette junge Polizist, der Lilith gerade noch zuvorkommend vom Pferd geholfen hatte, änderte urplötzlich sein Verhalten. Kaum hatten Lilith und Darren das Büro betreten, fiel die Maske der Höflichkeit von ihm ab.
»Sie wollten mir weismachen, sie hätten kein Benzin mehr«, fuhr er fort, »dabei ist ihr Tank mindestens zu zwei Dritteln voll. Ich hab's überprüft. Und auf dem Weg hierher hat er fortwährend versucht, mich über die Farm auszuhorchen.« Er deutete mit dem Daumen auf Darren. »Vergeblich natürlich!« Demonstrativ lehnte er sich gegen die Tür. Seine Beute sollte nur ja nicht glauben, sie habe auch nur die geringste Chance, zu entkommen.
»Also, was sagen Sie zu den Anschuldigungen?« Mit einer Handbewegung bot Trilsh seinen Besuchern Stühle an. Seine Miene ließ nicht erkennen, was er von der etwas rüden Vorgehensweise seines Untergebenen hielt. »Ich heiße übrigens Marc Trilsh. Wenn ich um Ihre Namen bitten dürfte ...?«
Darren unterdrückte einen Seufzer. Warum konnten Lilith und er nicht einmal in Ruhe gelassen werden? Nicht nur, daß wiedererweckte Tote an ihren Fersen hingen, jetzt mußten sie sich auch noch mit Vorstadtsheriffs herumplagen.
»Darren Secada, Miss Diana Millert.« Darren kramte seinen Polizeiausweis aus der Hosentasche und schob ihn dem Sheriff nicht ohne ein schadenfreudiges Grinsen über den Tisch. »Vielleicht
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