Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fandorin

Fandorin

Titel: Fandorin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
Vom Netzwerk:
Markscheidekundlichen Institut, doch hatte Xaveri Gruschin (mit einem Seitenblick, nicht frei von freudigem Staunen) seinem jungen Gehilfen darin zugestimmt, daß der »Grumme« am wahrscheinlichsten dort immatrikuliert war, wo auch der tote Kokorin studiert hatte, nämlich an der Juristischen Fakultät der Universität.
    Hurtig lief Fandorin, in Zivil gekleidet, die ausgetretenen gußeisernen Stufen hinauf durch das Hauptportal, vorbei an dem bärtigen Türhüter in grüner Livree. Er bezog eine günstige Position im Halbrund jener Fensternische, von der aus man das Foyer mitsamt der Garderobe, den Hof und sogar die beiden in die Seitenflügel führenden Gänge bestens im Blick hatte. Zum ersten Mal, seit der Vater tot und das Leben des Sohnes vom geradlinigen Weg abgekommen war,vermochte er die geheiligten gelben Universitätsmauern anzuschauen, ohne daß ein weher Gedanke daran aufkam, was hätte werden können und nicht hatte sein sollen. Denn er konnte nun nicht mehr mit Bestimmtheit sagen, was spannender war und nützlicher für die Gesellschaft zumal: die Paukerei eines Studenten oder das rauhe Leben eines Kriminalpolizisten, der in einem wichtigen und gefährlichen Fall ermittelte. (Nun ja: wenn schon nicht gefährlich, so doch äußerst verantwortungs- und geheimnisvoll.)
    Etwa jeder vierte Student, der in den Blick des wachsamen Beobachters geriet, trug einen Zwicker, etliche gar am Seidenband. Die Physiognomie etwa jedes fünften war von Pickeln verunziert. Krumm gingen auch nicht wenige. Doch wollten sich die drei Anzeichen partout in keinem Subjekt vereinigen.
    Nach einer reichlichen Stunde wurde Fandorin hungrig, holte sein Wurstbrot aus der Tasche und stärkte sich, ohne den Posten zu verlassen. Unterdessen war es ihm gelungen, das Herz des bärtigen Türhüters zu gewinnen, der sich von ihm Mitritsch nennen ließ und dem jungen Mann bereits einige höchst wertvolle Ratschläge hinsichtlich der Aufnahme an die »Niwirsität« gegeben hatte. Bislang war Fandorin dem geschwätzigen Alten als Hinterwäldler gekommen, mit dem sehnlichen Traum, die Knöpfe mit dem Universitätswappen am Rock zu tragen. Er überlegte schon, ob er seine Legende nicht ändern und Mitritsch ohne Umschweife nach dem pickeligen Krummen fragen sollte, als der Diener ein neues Mal eilfertig die Mütze vom Kopf zog und die Tür aufriß. Dieses Ritual vollzog Mitritsch immer, wenn ein Professor oder ein wohlhabender Student nahte, und bekam dafür hin und wieder eine Kopeke, manchmal auch einen Fünfer zugesteckt. Fandorin blickte auf und sah, daß ein Student auf siezukam, der eben an der Garderobe seinen feschen Regenmantel aus Samt (Schnallen in Form von Löwentatzen!) in Empfang genommen hatte. Auf der Nase des Gecken prangte ein Zwicker, auf der Stirn blühten die schönsten Pickel. Fandorin beugte sich vor, die Haltung des jungen Mannes zu begutachten, doch die Pelerine und der hochgeschlagene Kragen des verfluchten Regenmantels verhinderten eine Diagnose.
    Der Türhüter verbeugte sich. »Angenehmen Abend, Nikolai Stepanitsch. Belieben wir eine Droschke zu nehmen?«
    »Hat es denn nicht aufgehört zu regnen, Mitritsch?« fragte der Picklige mit dünner Stimme. »Dann laufe ich lieber, genug gesessen!« Und mit zwei Fingern der weiß behandschuhten Linken ließ er eine Münze in die vorgestreckte Hand fallen.
    »Wer war das?« flüsterte Fandorin, während er dem Gecken angestrengt hinterhersah. Konnte es sein, daß er doch etwas krumm ging?
    »Achtyrzew, Nikolai Stepanowitsch. Einer von den ganz Reichen, adliges Blut«, gab Mitritsch ehrfürchtig Auskunft. »Nie gibt er weniger als wie einen Fünfer.«
    Fandorin überkam es siedend heiß. Achtyrzew! Etwa der von Kokorin bestellte Testamentsvollstrecker?
    Schon verbeugte Mitritsch sich vor dem nächsten Dozenten, einem langhaarigen Magister der Physik. Als er sich wieder umdrehte, erwartete ihn eine Überraschung: Der junge, höfliche Provinzhase war wie vom Erdboden verschluckt.
     
    Der schwarze Samtmantel war von weitem nicht zu verkennen, und Fandorin hatte den Verdächtigen schnell eingeholt, ihn anzusprechen konnte er sich jedoch nicht entschließen. Womit hätte er diesem Achtyrzew kommen sollen? Selbstwenn ihn Kukin, der Krämer, und Jungfer Pfuhl (hier seufzte Fandorin schwer, denn er dachte sogleich – und zum wievielten Male schon! – an Lisanka) bei einer Gegenüberstellung identifizierten – was hatte man davon? War es nicht besser, der Lehre des großen

Weitere Kostenlose Bücher