Fandorin
Fouché, jener unübertroffenen Koryphäe der detektivischen Künste, zu folgen und die Beschattung des Objekts aufzunehmen?
Gesagt, getan. Zumal das Objekt nicht schwer zu beschatten war. Achtyrzew ließ sich Zeit und bummelte in Richtung Twerskoi Boulevard, blickte sich nicht um, streifte höchstens dann und wann eine der hübschen Modistinnen mit einem Blick. Ein paar Mal wagte sich Fandorin so nahe heran, daß er hören konnte, wie der Student fröhlich die Arie des Smith aus dem »Schönen Mädchen von Perth« vor sich hin pfiff. Augenscheinlich war der verhinderte Selbstmörder (wenn er es denn war) bei bester Laune. Vor »Korffs Tabakladen« blieb der Student stehen und betrachtete lange die Zigarrenschachteln in der Auslage, betrat den Laden jedoch nicht. Fandorin kam immer mehr zu der Überzeugung, daß sein »Objekt« sich auf eine anberaumte Stunde hin die Zeit vertrieb. Diese Überzeugung wurde bestärkt, als Achtyrzew die goldene Taschenuhr hervorzog, den Deckel aufklappen ließ und, seinen Schritt um ein weniges beschleunigend, weiterlief, wobei er nunmehr den forscheren Chor der Gassenjungen aus der neumodischen Oper »Carmen« zu intonieren begann.
Als der Student in die Kamergerski einbog, hörte er zu pfeifen auf und schritt so kräftig aus, daß Erast Fandorin, schon um nicht allzu verdächtig zu erscheinen, zurückbleiben mußte. Glücklicherweise verlangsamte das »Objekt« kurz vor dem Damenmodesalon »Darzens« den Schritt und blieb dann stehen. Fandorin wechselte die Straßenseite undbezog Posten neben einer Bäckerei, aus der es nach frischen Brötchen duftete.
Fünfzehn, vielleicht auch zwanzig Minuten drückte sich Achtyrzew, der immer nervöser wurde, vor der geschnitzten Eichenholztür des Ladens herum, in den hin und wieder geschäftige Damen hineingingen und aus dem Paketboten umfängliche Schachteln und Pakete herausschleppten. Vor dem Trottoir warteten einige Kutschen, manche sogar mit Wappen an den lackierten Türen. Um vierzehn Uhr siebzehn (Fandorin sah auf die Schaufensteruhr) kam Bewegung in den Studenten. Er stürzte auf eine schlanke Dame mit Hutschleier zu, die eben aus dem Laden getreten war, zog die Mütze und begann, mit den Händen fuchtelnd, auf sie einzureden. Mit aufgesetzter Langeweile überquerte Fandorin die Straße – warum sollte nicht auch er einmal einen Blick auf die Auslagen bei »Darzens« werfen.
»Jetzt hab ich keine Zeit für Sie!« hörte er die Dame (in einem lila Moirekleid mit Schleppe, letzter Schrei der Pariser Mode) mit klangvoller Stimme sagen. »Später! Kommen Sie gegen acht, wie üblich, dann sehen wir weiter.«
Sie würdigte den erregten Achtyrzew keines weiteren Blickes und begab sich zu einem zweisitzigen Phaeton mit offenem Verdeck.
»Aber Amalia! Erlauben Sie, Amalia Kasimirowna!« rief ihr der Student hinterher. »Mir wäre an einer privatimen Äußerung gelegen!«
»Später! Später!« warf ihm die Dame hin. »Jetzt habe ich es eilig!«
Ein leichter Windstoß lupfte den beinahe schwerelosen Schleier vor ihrem Gesicht, und Fandorin stand wie vom Donner gerührt. Diese Nachtschattenaugen, dieses ägyptische Oval des Gesichts, diesen launischen Lippenschwung –all das kannte er, ein solches Antlitz, einmal erblickt, vergaß man nie wieder. Sie war es, die geheimnisvolle A. B., die dem unglücklichen Kokorin geboten hatte, seine Liebe nie zu verleugnen! Der Fall, so schien es, nahm eine Wendung, geriet in ein vollkommen anderes Licht.
Verloren stand Achtyrzew auf dem Trottoir, zog den Kopf unschön zwischen die Schultern (und war nun krumm, eindeutig krumm! entschied Fandorin), während der Phaeton mit der ägyptischen Königin gemächlich in Richtung Petrowka davonfuhr. Es galt eine Entscheidung zu treffen – und da der Student, wie es aussah, vorläufig nichts mit sich anzufangen wußte, winkte Fandorin innerlich ab und ließ ihn stehen; er rannte los, zur Ecke Bolschaja Dmitrowka hinüber, wo eine Reihe Droschken standen.
»Polizei!« zischte er dem Kutscher zu, der verschlafen in Schirmmütze und Wattejacke auf dem Bock saß. »Fahr dem Gespann dort vorn hinterher! Schnell, beweg dich! Keine Angst, du kriegst schon dein Geld.«
Der Kutscher streckte sich, krempelte in übertriebener Beflissenheit die Ärmel auf, ruckte an den Zügeln, blökte auch etwas, und die scheckige Stute bequemte sich und ließ ihre Hufe über das Pflaster klappern.
An der Ecke Roshdestwenka kam ihnen ein mit Brettern beladener Lastkarren
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