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Fandorin

Fandorin

Titel: Fandorin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Zwiegespräch ohnehin nichts. Man fand sich zu Grüppchen zusammen, parlierte über dies und jenes, wobei freilich jeder immerzu in die Ecke herüberschielte.
    Kleopatra musterte den jungen Mann, in dessen Hände sie sich für kurze Zeit begeben hatte, mit unverhohlenem Spott.
    »Was wollen Sie denn nun fragen?«
    Fandorin zögerte noch.
    »Die Antwort wird ehrlich sein?«
    »Ehrlichkeit hat etwas mit Ehre zu tun, und nach Ehre kann man bei unserer Art von Spielen lange suchen«, antwortete die Beshezkaja, ihr Lächeln bekam einen leisen Zug von Bitterkeit. »Aber Offenheit, die kann ich Ihnen garantieren. Nur enttäuschen Sie mich bitte nicht und stellen Sie keine dummen Fragen. Ich halte Sie für ein achtbares Individuum.«
    Der Moment war da. Fandorin ging zur Attacke über.
    »Was wissen Sie über den Tod von Pjotr Alexandrowitsch Kokorin?«
    Die Gastgeberin erschrak nicht, zuckte nicht einmal, doch wenn Fandorin richtig gesehen hatte, waren ihre Augen für einen winzigen Moment schmal geworden.
    »Wozu fragen Sie das?«
    »Das erkläre ich Ihnen später. Erst antworten Sie.«
    »Gut. Ich kann Ihnen sagen, was ich weiß. Den liebenKokorin hat eine äußerst rauhbeinige Dame auf dem Gewissen.« Für einen Moment senkte die Beshezkaja ihre dichten schwarzen Wimpern, und ein glühender Blick, schnell wie ein Bajonettstoß, schoß darunter hervor. »Diese Dame heißt Liebe.«
    »Liebe zu wem? Zu Ihnen? Er ist doch öfters hier gewesen, oder nicht?«
    »In der Tat. Und außer mir gibt es hier wohl niemanden zum Verlieben. Es sei denn, Orest Kirillowitsch.« Sie lachte.
    »Kokorin tut Ihnen kein bißchen leid?« fragte Fandorin, erstaunt über soviel Hartherzigkeit.
    Die ägyptische Königin zuckte gleichmütig die Schultern.
    »Jeder ist seines Schicksals Schmied. Könnten das genug Fragen gewesen sein?«
    »Noch nicht!« erwiderte Fandorin hastig. »Was hatte Achtyrzew mit der Sache zu tun? Und was hat das Testament zugunsten von Lady Aster zu bedeuten?«
    Das Stimmengewirr in Fandorins Rücken schwoll an, genervt drehte er sich um.
    »Ach, mein Ton behagt dir nicht?« fragte Ippolit herausfordernd. Er war dabei, dem betrunkenen Achtyrzew zu Leibe zu rücken. »Dann behagt dir das vielleicht besser?« Und er stieß dem Studenten mit der flachen Hand vor die Stirn – nicht sehr kräftig, doch genug, daß der magere Achtyrzew in Richtung Sessel flog und hineinplumpste; dort saß er nun und klapperte fassungslos mit den Augen.
    »Hören Sie, Graf, so geht das nicht!« rief Fandorin und eilte auf den Raufbold zu. »Daß Sie stärker sind, gibt Ihnen nicht das Recht zu …«
    Doch seine wirre Anklage, die den Grafen wenig zu beeindrucken schien, ging in der schneidenden Stimme der Gastgeberin unter: »Raus hier, Ippolit! Und daß du mir denFuß nicht mehr in dieses Haus setzt, bis du wieder nüchtern bist!«
    Schimpfend und fluchend polterte der Graf zum Ausgang. Neugierig beäugten die übrigen Gäste den schlaff im Sessel hängenden Achtyrzew, ein Häufchen Elend; er machte nicht den Versuch, sich zu erheben.
    »Sie scheinen mir hier der einzige normale Mensch zu sein«, raunte Amalia Fandorin zu, während sie zur Tür ging. »Schaffen Sie ihn fort. Nur nicht fallenlassen.«
    Beinahe augenblicklich erschien der Hüne John, der die Livree mit einem schwarzen Gehrock und gestärkter Chemisette getauscht hatte. Er half, den Studenten zur Tür zu bugsieren, und stülpte ihm den Zylinder auf den Kopf. Die Beshezkaja kam nicht heraus, sich zu verabschieden, und die finstere Physiognomie des Butlers sagte Fandorin, daß es Zeit war zu gehen.

FÜNFTES KAPITEL,
    in welchem unseren Helden ernstliche Unannehmlichkeiten erwarten
    Draußen an der frischen Luft kam Achtyrzew wieder einigermaßen zu sich – er stand wacker auf den Füßen, schwankte nicht, so daß Fandorin es riskierte, seinen Arm loszulassen.
    »Laufen wir vor zur Sretenka«, schlug er vor. »Da setze ich Sie in eine Droschke. Haben Sie es weit bis nach Hause?«
    »Nach Hause?« Im flackernden Licht der Petroleumlaterne wirkte das bleiche Gesicht des Studenten wie eine Maske. »Auf gar keinen Fall nach Hause! Lassen Sie uns irgendwo anders hinfahren, ja? Mir ist nach Reden zumute. Sie haben ja gesehen, was … die mit mir machen. Wie heißen Sie? Ach ja, Fandorin, komischer Name. Ich heiße Achtyrzew. Nikolai Achtyrzew.«
    Fandorin verbeugte sich andeutungsweise, während er eine heikle moralische Frage zu bedenken hatte: War es in Ordnung, Achtyrzews labilen

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