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Fandorin

Fandorin

Titel: Fandorin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Zustand auszunutzen, um ihm die nötigen Auskünfte zu entlocken? Immerhin schien der »Grumme« ja selbst nicht abgeneigt, aus dem Nähkästchen zu plaudern.
    Fandorin entschied, daß es in Ordnung war. Die Kompliziertheit des zu ermittelnden Falles stand dafür.
    »Das ›Krim‹ ist nicht weit von hier«, fiel Achtyrzew ein. »Da brauchen wir kein Gefährt, das schaffen wir zu Fuß. Ist natürlich eine Kaschemme, aber die Weine sind passabel. Gehen wir hin, ja? Ich lade Sie ein.«
    Fandorin ließ sich nicht bitten, sie liefen langsam (dennder Student schwankte beim Laufen doch ein bißchen) durch die dunkle Gasse auf die weit vor ihnen blinkenden Lichter der Sretenka zu.
    »Bestimmt halten Sie mich für einen Feigling, Fandorin, nicht wahr?« fing Achtyrzew mit schwerer Zunge wieder an. »Weil ich den Grafen nicht zum Duell gefordert, die Beleidigung hingenommen, den Betrunkenen gespielt habe. Ich bin kein Feigling, ich könnte Ihnen Dinge erzählen, Sie würden sich umgucken … Er wollte mich ja nur provozieren. Das hat womöglich sie ihm eingeflüstert, um mich loszuwerden und sich dabei nichts nachsagen zu lassen … Oh, diese Frau, wenn Sie wüßten! Und dem Surow ist es egal, ob er eine Fliege totschlägt oder einen Menschen. Jeden Morgen übt er eine Stunde lang Pistolenschießen. Es heißt, er trifft ein Fünfkopekenstück auf zwanzig Schritt. Soll das etwa ein Duell sein? Er ginge kein Risiko ein. Das wäre der blanke Mord, nur mit hübscherem Etikett. Und hinterher geschähe ihm gar nichts, er windet sich aus allem raus. Wäre nicht das erste Mal. Er fährt einfach ein Weilchen im Ausland spazieren. Ich aber möchte leben, ich hab’s mir verdient.«
    Sie bogen von der Sretenka in eine Seitenstraße ab, die unansehnlich, aber immerhin mit Gas- statt Petroleumlaternen versehen war; ein Stück voraus sah man ein dreistöckiges Gebäude mit hellerleuchteten Fenstern. Das muß das »Krim« sein! dachte Fandorin, und das Blut stockte ihm im Herzen – zuviel hatte er schon gehört von diesem in ganz Moskau berüchtigten Lokal.
    An dem breiten, im grellen Lampenlicht liegenden Portal hielt niemand sie auf. Mit geübter Geste stieß Achtyrzew die hohe, mit Schnitzwerk verzierte Tür auf. Wärme schlug ihnen entgegen, Küchen- und Schnapsdunst, dazu ein tosendes Stimmengewirr und schluchzende Geigen.
    Sie ließen die Zylinder an der Garderobe und liefen sogleich einem flinken Burschen in weinroter Bluse in die Arme, der Achtyrzew mit »Euer Erlaucht« titulierte und einen allerbesten, »extra reservierten« Tisch versprach.
    Der Tisch stand an der Wand und zum Glück in einiger Entfernung von der Bühne, wo ein Zigeunerchor grölte und mit Schellen rasselte.
    Fandorin, den es zum ersten Mal in eine echte Lasterhöhle verschlagen hatte, drehte unentwegt den Kopf nach allen Seiten. Ein buntes Publikum war zugegen, nüchtern anscheinend niemand mehr. Kaufleute und Börsenspekulanten mit ihren pomadisierten Köpfen gaben den Ton an – daß sie in diesen Zeiten das nötige Geld hatten, wußte man ja. Doch gesellten sich zu ihnen auch einige Subjekte von deutlich herrschaftlicherem Aussehen, sogar das goldene Monogramm eines Flügeladjutanten blitzte Fandorin von einer Epaulette an. Das Hauptaugenmerk des Kollegienregistrators galt allerdings den jungen Damen, die sich zu einem setzten, sobald nur der geringste Wink sie dazu aufforderte. Die Tiefe ihrer Dekolletés ließ Fandorin erröten, und die Röcke waren so geschlitzt, daß die runden Knie in den durchbrochenen Strümpfen auf schamloseste Weise hervorschauten.
    »Was ist, haben die Dämchen es Ihnen angetan?« fragte Achtyrzew grinsend, nachdem er beim Kellner Schnaps und Wein bestellt hatte. »Seit ich Amalia kenne, zählen die für mich gar nicht mehr zum weiblichen Geschlecht. Wie alt sind Sie, Fandorin?«
    »Einundzwanzig«, erwiderte Fandorin, ein Jährchen zugebend.
    »Ich bin dreiundzwanzig. Und ich hab schon einiges hinter mir. Versteifen Sie sich bloß nicht auf diese Huren, siesind das Geld und die Zeit nicht wert. Danach fühlt man sich nur um so mieser. Wenn man schon lieben muß, dann bitte schön eine Königin! Aber wozu erzähle ich Ihnen das? Sie sind doch auch nicht zufällig bei Amalia aufgetaucht? Hat sie Ihnen den Kopf verdreht? Das mag sie, sie sammelt Männer, und ständig braucht sie neue Exponate. Wie heißt es in der Operette so schön:
Elle ne pense qu’a exciter les hommes
… Aber alles hat seinen Preis, und ich habe ihn bezahlt.

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