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Fandorin

Fandorin

Titel: Fandorin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Frau durften alle Übeltaten vergeben sein!
    Den Mann, dessen Gesicht im Dunklen blieb (der Größe nach zu urteilen, mußte es Mr. Morbid sein), fragte Amalia Beshezkaja in gepflegtem Englisch (eine Spionin, bestimmt war sie eine Spionin!): »Und er ist es ganz gewiß?«
    »Ja, Ma’am. Es gibt nicht die geringsten Zweifel.«
    »Woher die Gewißheit? Haben Sie ihn denn gesehen?«
    »Das nicht, Ma’am. Heute hat Franz dort Wache gehalten. Er hat berichtet, das Bürschchen sei gegen sieben eingetroffen. Die Beschreibung stimmt haargenau überein, sogar mit dem Schnauzbart haben Sie recht behalten.«
    Die Beshezkaja lachte schallend.
    »Man darf ihn trotzdem nicht unterschätzen, John. Ein geborenes Glückskind – ich kenne diesen Menschentyp gut, er ist unberechenbar und sehr gefährlich.«
    Fandorin hüpfte das Herz im Leib. War da etwa von ihm die Rede? Nein, das konnte nicht sein.
    »Halb so wild, Ma’am. Sie brauchen es nur anzuordnen, dann fahren Franz und ich hin und erledigen das. Zimmer Nummer fünfzehn, zweiter Stock.«
    Exakt: Zimmer Nummer fünfzehn, zweiter Stock. Dort wohnte er. Wie hatten sie das herausbekommen? Wer hatte es ihnen gesteckt? Mit einem Ruck riß Fandorin sich den schmählichen und unnützen Bart von der Lippe, verbiß sich den Schmerz.
    Amalia Beshezkaja – oder wie immer ihr wirklicher Name lautete – verzog das Gesicht, ihre Stimme wurde schneidend:
    »Unterstehen Sie sich! Ich bin selbst schuld, also bringe ich das auch selbst wieder in Ordnung. Wenn man schoneinmal im Leben einem Mann traut … Ich frage mich nur, warum sie uns aus der Botschaft nicht vorgewarnt haben, daß er kommt.«
    Fandorin spitzte die Ohren. Sie haben also ihre Leute in der Botschaft! Na prima! Brilling wollte es nicht glauben. Und wer ist es? Sag schon, sag!
    Doch die Beshezkaja wechselte das Thema.
    »Waren Briefe da?«
    »Drei auf einmal, Ma’am.« Mit einer Verbeugung überreichte ihr der Lakai die Umschläge.
    »Gut, John, Sie können schlafen gehen. Für heute brauche ich Sie nicht mehr.« Sie unterdrückte ein Gähnen.
    Als sich die Tür hinter Mr. Morbid geschlossen hatte, warf Amalia die Briefe achtlos auf den Schreibtisch und trat zum Fenster. Fandorin fuhr zurück hinter den Mauervorsprung, sein Herz klopfte wie rasend. Blicklos starrte die Beshezkaja mit ihren großen Augen in die tröpfelnde Finsternis (wäre nicht die Scheibe gewesen, hätte er ihr Gesicht mit der Hand berühren können) und murmelte versonnen, nunmehr auf russisch: »Mein Gott, wie öde. Da hockt man hier und versauert …«
    Als nächstes tat sie etwas Seltsames: Sie trat zu einem frivol geformten, einen Amor darstellenden Wandleuchter und drückte dem minderjährigen Liebesgott auf den bronzenen Bauchnabel. Der daneben hängende Stich (irgendein Jagdstück) rückte lautlos zur Seite und gab den Blick auf ein kupfernes Türchen mit rundem Knauf frei. Amalias nackter, schmaler Arm fuhr aus dem bauschigen Ärmel, sie drehte den Knauf ein paarmal hin und her, und das Türchen öffnete sich mit einem singenden Ton. Fandorin preßte die Nase an die Scheibe, um nur ja nichts Entscheidendes zu verpassen.
    Die Beshezkaja, in diesem Augenblick mehr denn je einerägyptischen Königin gleichend, beugte sich graziös nach vorn, nahm etwas aus dem Safe heraus und drehte sich um. In den Händen hielt sie ein blausamtenes Portefeuille.
    Sie setzte sich an den Schreibtisch, entnahm dem Portefeuille einen großen gelben Umschlag und diesem ein Blatt Papier, das dicht mit kleiner Schrift beschrieben war. Dann öffnete sie mit dem Messer die eingetroffenen Briefe und übertrug etwas daraus auf ihr Blatt. Hierfür brauchte sie höchstens zwei Minuten. Nachdem alle Papiere wieder in der Mappe verstaut waren, rauchte die Beshezkaja eine ihrer Maisstrohzigaretten an, tat ein paar tiefe Züge und schaute gedankenvoll ins Leere.
    Fandorin war der Arm eingeschlafen, mit dem er sich an den Schlingpflanzen festhielt, der Knauf des Colts drückte ihm in die Seite, die unbequem verrenkten Füße begannen gleichfalls zu schmerzen. Lange Zeit würde er in dieser Lage nicht mehr zubringen können.
    Endlich hatte Kleopatra ein Erbarmen, drückte ihre Zigarette aus, erhob sich und verschwand in der gegenüberliegenden, kaum erleuchteten Zimmerecke, wo sich eine recht niedrige Tür befand, die nun auf- und wieder zuging; bald darauf war fließendes Wasser zu hören. Dort hinten mußte das Badezimmer sein.
    Auf dem Schreibtisch lag und lockte das blaue

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