Fandorin
Revolver hielten. Ihre matten Augen zwinkerten kein einziges Mal, und sie waren so nah, daß Fandorin darin zwei kleine rosa Lampen sehen konnte. Eine unbegreifliche Passivität nahm von ihm Besitz. Er erinnerte sich, daß Ippolit Surow ihn gewarnt hatte, von einer Motte hatte er gesprochen, doch die Erinnerung war so abstrakt, als beträfe sie ihn nicht.
Dann ging alles sehr schnell. Mit der Linken schob die Beshezkaja den Colt zur Seite, mit der Rechten packte sie Fandorin beim Kragen und riß ihn zu sich heran, zugleich hieb sie ihre Stirn gegen seine Nase. Von dem scharfen Schmerz wurde Fandorin schwarz vor Augen, aber er hätte ohnehin nichts mehr sehen können, denn die Lampe flog krachend zu Boden,und ägyptische Finsternis zog ein. Vom nachfolgenden Stoß – mit dem Knie in den Bauch – knickte der junge Mann ein, seine Finger krümmten sich, das Zimmer wurde von einem Blitz erhellt, ein Schuß ertönte. Amalia japste nach Luft, ein kurzer Schrei, eher ein Greinen – und niemand schlug mehr auf Fandorin ein, niemand preßte ihm das Handgelenk. Er hörte einen Körper fallen. In seinen Ohren dröhnte es, Blut lief ihm in zwei Rinnsalen das Kinn herunter, Tränen entströmten seinen Augen, und in der Tiefe des Bauches geschah etwas, das ihm keine andere Wahl lassen wollte, als sich zusammenzurollen und zu warten, stöhnend, bis dieser unerträgliche Schmerz vorüberging. Das aber war ihm nicht vergönnt – von unten hörte er laute Stimmen, polternde Schritte.
Fandorin riß das Portefeuille vom Tisch und warf es aus dem Fenster, erklomm den Fensterstock und kletterte nach draußen, wobei er beinahe abgestürzt wäre, da eine Hand immer noch die Pistole hielt. Er wußte später nicht mehr, wie er das Fallrohr hinuntergekommen war, hatte Angst, das Portefeuille im Dunkeln nicht wiederzufinden, doch es lag gut sichtbar auf dem weißen Kies. Fandorin raffte es an sich und stürzte quer durch die Büsche davon, seine Gedanken rasten. Feiner diplomatischer Kurier … Erschießt eine Frau … Mein Gott, was mach ich jetzt, was mach ich jetzt … Aber sie ist selber schuld … Ich wollte doch gar nicht … Wohin jetzt … Die Polizei wird mich suchen … Oder die anderen … Ein Mörder … In die Botschaft auf keinen Fall … Das Land verlassen, so schnell es geht … Geht nicht … Die suchen die Bahnhöfe ab, die Häfen … Für das Portefeuille kriechen die in jedes Loch … Abtauchen … Mein Gott, Herr Brilling, was tun, was tun?
Im Laufen blickte Fandorin um sich, und was er nun sah, brachte ihn zum Stolpern, beinahe wäre er hingeschlagen.Im Gebüsch stand reglos eine schwarze Gestalt im langen Mantel, das Gesicht im Mondlicht fahl, zur Maske erstarrt, ein seltsam bekanntes Gesicht – Graf Surow!
Das war zuviel. Fandorin jaulte auf, warf sich mit letzter Kraft über den Zaun, tat erst einen Sprung nach rechts, dann einen nach links – von welcher Seite war er mit dieser verdammten Droschke gekommen? Egal! Er rannte einfach auf und davon.
ELFTES KAPITEL,
in welchem eine sehr lange Nacht geschildert wird
Auf der Isle of Dogs, in den engen Gassen hinter den Millwall Docks, bricht die Nacht schnell herein. Ehe man sich versieht, ist das Grau der Dämmerung ins Braune gekippt, und von den seltenen Straßenlaternen brennt jede zweite. Es ist schmutzig und trist, von der Themse weht es feucht, die Müllgruben stinken. Und keine Menschenseele in den Gassen; allenfalls im Umkreis einiger obskurer Pubs und billiger Absteigen pulsiert ein ungutes, gefährliches Leben.
In den Zimmern des »Ferry Road« kampieren ausgemusterte Matrosen, kleine Hochstapler und alternde Hafendirnen. Wer sechs Pence pro Tag übrig hat, darf über ein eigenes Zimmer mit Bett verfügen und muß keines Fremden Nase in seinen Angelegenheiten dulden. Bedingung ist jedoch, daß Fat Hugh, der Hausherr, jedes ramponierte Möbel, Prügeleien und nächtliches Krakeelen mit einem Shilling Strafgeld ahndet, und wer den nicht zahlen will, fliegt raus. Fat Hugh sitzt von früh bis spät in seinem kleinen Kontor am Eingang. Es ist ein strategischer Platz: Man sieht, wer kommt und geht, wer etwas hereinträgt oder hinauszutragen die Absicht hat. Bei dem gemischten Publikum muß man auf alles gefaßt sein.
Zum Beispiel dieser französische Kunstmaler mit den verfilzten roten Haaren, der da gerade am Hotelier vorbei in sein Eckzimmer huscht. Geld scheint dieser Froschfresser zu haben – anstandslos hat er eine Woche im voraus bezahlt,säuft
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