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Fandorin

Fandorin

Titel: Fandorin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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huschen. Von da an riß Fandorin sich zusammen, verfluchte seine übertriebene Ängstlichkeit und wandte denBlick kein weiteres Mal zurück. Immer diese verdammten Nerven! Er zweifelte sogar, ob er mit der Verwirklichung seines Planes nicht besser bis zum nächsten Abend warten sollte. Dann hätte er am Morgen noch die Botschaft aufsuchen und jenen geheimnisvollen Schriftführer Pyshow treffen können, den der Chef ihm empfohlen hatte. Doch allzuviel bange Vorsicht war peinlich und Zeit ohnehin keine zu verlieren, beinahe drei Wochen waren ins Land gegangen – für Bagatellen.
    Die Europareise war weniger angenehm verlaufen, als Fandorin im ersten Überschwang erwartet hatte. Das ganze jenseits des Grenzpunkts Wirballen gelegene Territorium deprimierte ihn auf Grund seiner gravierenden Unähnlichkeit mit den schlichten heimatlichen Weiten. Fandorin hatte aus dem Zugfenster geblickt und darauf gewartet, daß die adretten Dörfchen und Spielzeugstädtchen aufhörten und eine
normale
Landschaft anfinge, doch je weiter der Zug sich von der russischen Grenze entfernte, um so schneeweißer wurden die Häuser und um so pittoresker die Städte. Fandorin schnürte es die Brust immer enger, loszuflennen erlaubte er sich jedoch nicht. Letzten Endes, so sagte er sich, ist nicht alles Gold, was glänzt; die Schwermut ließ sich von diesem Gedanken nicht verdrängen.
    Später gewöhnte er sich schon ein bißchen an das, was er zu sehen bekam, ja, es schien ihm bereits, als wäre Moskau gar nicht so viel schmutziger als Berlin und der Kreml samt den goldenen Kirchenkuppeln etwas, wovon die Deutschen nur träumen konnten. Andere Mißlichkeiten beschäftigten ihn nun weit mehr: Der Militärattaché der russischen Botschaft, dem Fandorin ein versiegeltes Paket ausgehändigt hatte, hieß ihn die Reise einstweilen unterbrechen und auf eine Geheimkorrespondenz warten,die nach Wien weiterzubefördern war. Das Warten währte eine ganze Woche, und Fandorin war es längst leid, im Schatten Unter den Linden dahinzuschlendern und sich an den wohlgenährten Schwänen der Berliner Parkanlagen zu freuen.
    Gleiches widerfuhr ihm in Wien, nur daß er diesmal fünf Tage auf ein für den Pariser Militärattaché bestimmtes Paket zu warten hatte. Fandorin wurde nervös bei dem Gedanken, »Miss Olsen« könnte in der Zwischenzeit das Hotel verlassen, ohne noch länger auf eine Botschaft ihres Ippolit zu warten, denn dann wäre sie wohl auf immer und ewig verschollen. Seine Nervosität zu bekämpfen, saß er viel in Kaffeehäusern herum, verspeiste Unmengen von Mandeltorte und trank literweise Creme-Soda dazu.
    Dafür ergriff er in Paris sogleich die Initiative: Für ganze fünf Minuten ließ er sich in der russischen Vertretung sehen, drückte dem bevollmächtigten Oberst die Dokumente in die Hand und tat dabei unmißverständlich kund, daß er in besonderer Mission unterwegs und zu keiner Stunde Aufenthalt befugt sei. Für die fruchtlose Zeitverschwendung der letzten Wochen strafte er sich selbst, indem er darauf verzichtete, Paris zu besichtigen, und nur mit dem Fiacre die neuen, unlängst von Baron Haussmann geschlagenen Boulevardschneisen Richtung Gare du Nord fuhr. Auf dem Rückweg würde dafür immer noch Zeit sein.
     
    Um Viertel vor zehn saß Fandorin, hinter einer zu Zwecken der Observation mit einem Löchlein versehenen Ausgabe der »Times« versteckt, im Vestibül des »Winter Queen«. Auf der Straße stand die vorsorglich gemietete Droschke bereit. Der Portier hielt sich an die Instruktionen und schaute demonstrativ nicht in die Richtung, wo der so gar nichtsommerlich gekleidete Hotelgast mit der Zeitung saß; er gab sich sogar Mühe, ihm den Rücken zuzukehren.
    Drei Minuten nach zehn schellte das Glöckchen, die Tür ging auf, und ein Hüne von Mann in grauer Livree betrat das Vestibül. Er war es: »John Karlytsch«! Fandorins Auge saugte sich an dem Zeitungsblatt fest, das über den Ball des Prinzen von Wales berichtete.
    Verstohlen ging der Blick des Portiers jetzt nach dem zur unrechten Zeit in seine Lektüre vertieften Mr. von Dorn herüber, noch dazu ließ dieser Gauner die buschigen Brauen auf und nieder tanzen, was das Objekt glücklicherweise nicht bemerkte beziehungsweise zu bemerken geflissentlich vermied.
    Die Droschke war nicht umsonst bestellt. Es zeigte sich, daß der Lakai nicht zu Fuß, sondern mit einem sogenannten »Egoisten« gekommen war, einem jener Einspänner, die nur einer einzigen Person Platz boten; gezogen

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