Fandorin
wurde er von einem stämmigen Rappen. Auch der einsetzende Nieselregen kam gerade recht, denn so klappte John Karlytsch das lederne Verdeck nach oben und hätte nun, selbst wenn er darauf aus gewesen wäre, den Verfolger gar nicht bemerken können.
Der Befehl, dem Mann in der grauen Livree zu folgen, erstaunte den Kutscher nicht im geringsten; er knallte mit seiner langen Peitsche, und der Plan trat in seine erste Phase.
Es war bereits dunkel. Die Straßenlaternen brannten, doch Fandorin, ortsunkundig, verlor in den immer gleich aussehenden steinernen Karrees dieser fremden, beängstigend verschwiegenen Stadt sehr bald die Orientierung. Nach einiger Zeit wurden die Häuser spärlicher und niedriger, Bäume hoben sich schemenhaft aus der Dunkelheit ab, und nach einer weiteren Viertelstunde begannen von Gärten umgebene Villen sich entlang der Straße zu reihen. Vor einer blieb der»Egoist« stehen, ein riesiger Schatten löste sich von ihm, John Karlytsch öffnete das Gittertor. Fandorin lehnte sich aus der Droschke und sah den Einspänner auf das umzäunte Gelände fahren, wonach das Tor wieder geschlossen wurde.
Der gewitzte Kutscher brachte sein Pferd ohne Aufforderung zum Stehen, wandte sich um und fragte:
»Möchten Sie, daß die Polizei von dieser Fahrt etwas erfährt, Sir?«
»Hier haben Sie eine Krone, tun Sie, was Sie für richtig halten!« erwiderte Fandorin, da er beschlossen hatte, den Mann nicht warten zu lassen – der schien ihm zu pfiffig. Ohnehin war unklar, wann die Rückfahrt anstand. Vor ihm lag nichts als Ungewißheit.
Sich über den Zaun zu schwingen fiel ihm nicht schwer. In seiner Schulzeit hatte Fandorin ganz andere Zäune bezwungen.
Der Garten erwies sich als wenig einladend – er war voll schrecklicher Schatten und stachliger Gehölze. Zwischen den Bäumen schimmerten die Umrisse eines zweistöckigen Gebäudes mit gewölbtem Dach. Darauf bedacht, so leise wie möglich aufzutreten, kämpfte Fandorin sich zu den letzten Büschen vor (Fliederduft, vermutlich eine englische Sorte). Von hier begann er mit der Aufklärung.
Das Haus durfte mit Fug und Recht eine Villa genannt werden. Am Portal brannte eine Laterne. Mehrere Fenster im Parterre waren hell erleuchtet, dort wohnten vermutlich die Bediensteten. Interessanter kam ihm das schwach leuchtende Fenster im ersten Stock vor – doch wie hinaufgelangen? Daß unweit davon das Fallrohr der Dachrinne verlief, schien günstig; zudem war die Hauswand von rankendem Pflanzenwuchs überzogen, der recht guten Halt versprach.Die Gewohnheiten einer nicht sehr fernen Jugend schienen sich einmal mehr bezahlt zu machen.
Als schwarzer Schatten huschte Fandorin zur Hauswand hinüber und rüttelte an dem Fallrohr. Es schien stabil, klapperte nicht. Die existentielle Erfordernis, jedes Poltern zu vermeiden, ließ den Aufstieg gemächlicher vorangehen, als Fandorin es sich gewünscht hätte. Endlich ertastete der Fuß einen Sims, der glücklicherweise um das gesamte Stockwerk herumlief. Aus Vorsicht krallte Fandorin die Finger in das Gerank aus Efeu, wildem Wein und irgendwelchen Lianen (der Teufel wußte, wie diese schlangenartigen Triebe in Wirklichkeit hießen), ehe er begann, sich in winzigen Schritten auf das ersehnte Fenster zuzubewegen.
Zunächst war er bitter enttäuscht: In dem Zimmer war niemand. Das Licht einer Lampe mit rosa Schirm fiel auf einen gediegenen Schreibtisch, wo irgendwelche Papiere lagen; in der Ecke schien ein Bett zu stehen. Unklar, ob das ein Arbeitszimmer war oder ein Schlafgemach. Fandorin harrte an die fünf Minuten aus, in denen nichts weiter passierte, als daß sich ein fetter Nachtfalter auf den Lampenschirm setzte und mit den pelzigen Flügeln zuckte. Blieb Fandorin etwas anderes, als zurückzukriechen? Oder sollte er riskieren, ins Innere einzudringen? Sacht drückte er gegen die Fensterschenkel, sie gaben sofort nach. Fandorin zauderte. Zieh sich des Wankelmuts, der Feigheit. Und mußte im nächsten Moment feststellen, daß es gut gewesen war abzuwarten: Denn nun ging die Tür auf, und zwei Personen traten ein – eine Frau und ein Mann.
Beim Anblick der Frau mußte Fandorin an sich halten, um nicht in ein Freudengeheul auszubrechen: die Beshezkaja! Das schwarze Haar glatt zurückgekämmt und mit einem roten Band zusammengebunden, gehüllt in ein spitzenbesetztesNachtgewand, über das sie einen Zigeunerschal mit Blütenmuster geworfen hatte, stand sie da in ihrer ganzen blendenden Schönheit. Oh, einer solchen
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