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Fandorin

Fandorin

Titel: Fandorin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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nicht, hockt in seinem Zimmer, den Riegel vorgeschoben, es ist überhaupt das erste Mal, daß er das Haus verlassen hat, seit er hier wohnt. Hugh hat natürlich die Gelegenheit genutzt, bei ihm reinzuschauen, und raten Sie mal, was es da zu sehen gab? Nichts. Keine Farben, keine Bilder. Schöner Kunstmaler. Wohl eher ein Mörder, wer weiß – würde er sonst die Augen immerzu hinter dieser Sonnenbrille verbergen müssen? Sollte man dem Constable einen Wink geben? Die Miete für die Woche war ja im Kasten …
    Unterdessen hatte der rothaarige Kunstmaler, nicht ahnend, welch gefährliche Richtung Fat Hughs Gedanken eben einschlugen, die Tür hinter sich abgeschlossen – und er benahm sich in der Tat höchst verdächtig. Als erstes zog er sorgfältig die Vorhänge zu. Sodann legte er seine Einkäufe auf den Tisch: Weißbrot, Käse, eine Flasche Porter. Nun nahm er den Revolver aus dem Gürtel und schob ihn unter das Kopfkissen. Damit war die Abrüstung des sonderbaren Franzosen aber noch nicht abgeschlossen: Er zog eine Deringer aus dem Stiefelschaft – jenes Einzelschuß-Taschenpistölchen, das mit Vorliebe von Damen und politischen Attentätern verwandt wird – und legte die einem Spielzeug ähnelnde Waffe neben der Porterflasche ab. Aus dem Ärmel zauberte er ein schlankes, kurzes Stilett hervor und stieß es in den Brotlaib. Erst dann zündete er die Kerze an und nahm die dunkle Brille ab, rieb sich müde die Augen. Er schaute zum Fenster, ob die Gardinen sich nicht etwa verschoben hatten, riß die rothaarige Perücke vom Kopf und war nun kein anderer als Erast Petrowitsch Fandorin.
    Die Abendmahlzeit dauerte keine fünf Minuten – augenscheinlich hatte unser Titularrat und gesuchter Mörder Dringenderes zu erledigen. Er fegte die Krümel vom Tisch, rieb sich die Finger an dem langen Malerkittel sauber und gingzum verschlissenen Sessel, der in der Ecke stand; dort tastete er die Ritzen des Polsters ab und beförderte das kleine blaue Portefeuille ans Licht. Fandorin konnte es nicht erwarten, die Arbeit fortzusetzen, die ihn seit dem Morgen in Atem hielt und bereits zu einer sehr wichtigen Entdeckung geführt hatte.
     
    Nach den tragischen Ereignissen der vergangenen Nacht war Fandorin notgedrungen noch einmal im Hotel gewesen, um wenigstens Geld und Paß zu holen. Nun aber sollten sein feiner Freund Ippolit, dieser Schuft und Verräter, und dessen Schergen getrost die Ablegestellen und Bahnhöfe nach einem Herrn Erasmus von Dorn absuchen. Wer interessierte sich für einen armen französischen Kunstmaler, der in der letzten Kloake des Londoner Elendsviertels hauste? Wenn man es also riskierte und einen Ausflug zur Post unternahm, mußte man einen besonderen Grund dazu haben.
    Dieser Surow! Seine Rolle in der Geschichte war nicht ganz klar – jedenfalls unheilvoll. Durchtrieben waren Seine Durchlaucht, und wie! Der brave, ach so offenherzige Husar vollführte raffinierte Winkelzüge. Wie geschickt er ihm die Adresse zugeschoben hatte, wie wohlberechnet! Kurzum: ein Spieler vor dem Herrn. Er wußte genau, der tumbe Gründling würde anbeißen, den Köder schlucken, mitsamt dem Haken. Oder nein, Seine Durchlaucht hatten es mit dem Bild von der Motte allegorisiert: Fröhlich war die Motte auf das Feuer zugeflattert. Und wäre ums Haar darin verbrannt. Wer so blöd war, dem geschah es recht. Es verstand sich doch von selbst, daß die Beshezkaja und Ippolit in der Sache einen gemeinsamen Faden spannen. Nur ein romantischer Hornochse, wie der Titularrat einer war (den man im übrigen unter Umgehung anderer, weit verdientererPersonen in diesen Rang befördert hatte), konnte ernsthaft an eine in kastilischer Manier glühende Leidenschaft glauben! Und hatte auch noch Iwan Brilling den Kopf wirrzureden versucht. Wie peinlich! Hoho! Hübsch hatte Graf Surow salbadert: »Ich fürchte und ich liebe Sie! Ich bring’ die Hexe um, mit eigenen Händen!« Seinen Spaß hatte er an dem dummen Grünschnabel. Und wie ausgefeilt er wieder gearbeitet hatte, nicht weniger präzise als neulich an dem Duell! Die Rechnung war einfach, und sie war aufgegangen: Er durfte in der Nähe des »Winter Queen« Posten beziehen und in aller Ruhe darauf warten, daß die dumme Motte Erasmus angeflattert kam. Das hier war nicht Moskauer Pflaster, da konnten einem weder Detektive noch Gendarmen gefährlich werden, da durfte man einen Erast Fandorin mit nackten Händen greifen. Und fertig war der Braten. Ob Surow nicht auch noch die Rolle jenes Franz

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