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Fandorin

Fandorin

Titel: Fandorin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Kilometern – zu führen. Die Übertragung erfolgt mittels Drähten, ähnlich wie beim Telegraphen. Es ist ein Versuchsmuster, die Produktion ist noch nicht angelaufen. In ganz Europa gibt es nur zwei Leitungen: Die eine geht von meiner Wohnung ins Chefsekretariat der Dritten Abteilung, die andere verbindet das Arbeitszimmer des deutschen Kaisers mit Bismarcks Kanzlei in Berlin. Wir sind am Puls des Fortschritts!«
    »Toll!« Fandorin staunte. »Und wie ist es, kann man alles gut hören?«
    »Gut nicht gerade, aber man versteht es. Manchmal prasselt es im Hörer ganz gewaltig … Würden Sie anstelle des Tees auch mit einer Limonade vorliebnehmen? Ich habe mit dem Samowar so meine Schwierigkeiten.«
    »Sehr gern!« versicherte Fandorin, worauf Brilling wie eine gute Fee umgehend eine Flasche Orangenlimonade und einen Teller voll mit Èclairs, Kremkörbchen, Marzipanbaisers und Mandelröllchen vor ihn hinzauberte.
    »Langen Sie zu!« sagte Brilling. »Derweil erfahren Sie von mir den neuesten Stand der Dinge. Und anschließend sind Sie dran mit Beichten!«
    Fandorin, den Mund bereits voll und das Kinn mit Puderzucker bestäubt, nickte.
    »Also«, begann der Chef, »wenn ich mich recht entsinne, brachen Sie am siebenundzwanzigsten Mai nach Petersburg auf, um die diplomatische Post in Empfang zu nehmen? Kurz darauf geschahen in Moskau äußerst spannende Dinge. Ich bereute schon, Sie ziehen gelassen zu haben, jeder Mannwurde gebraucht. Über eine Detektei hatte ich herausbekommen, daß sich vor einiger Zeit eine kleine, jedoch sehr aktive Gruppe von Radikalrevolutionären formiert hat, ein Häuflein Verrückter. Während gewöhnliche Terroristen es als ihre Aufgabe ansehen, die ›Blutbesudelten‹ zu liquidieren, die Würdenträger des Staates sind gemeint, so haben die hier es sich in den Kopf gesetzt, mit den ›Blendern‹ abzurechnen.«
    »Mit wem?« Fandorin, abgelenkt von einem auf der Zunge schmelzenden Éclair, hatte nicht richtig zugehört.
    »Na, es gibt doch dieses Gedicht von Nekrassow: ›Wo die einen nur blenden, die zweiten / sich die Hände besudeln mit Blut / such ich die, die für Liebe sich streiten / ihr entrichten den höchsten Tribut.‹ Unsere Liebesapostel beschlossen also eine Art Arbeitsteilung. Der Kopf der Organisation behielt sich die ›mit Blut Besudelten‹ vor – Minister, Gouverneure und Generäle. Während unsere Moskauer Fraktion sich um die ›Blender‹ aus dem Lager der ›Feisten und Satten‹ zu kümmern beschloß. Von einem in die Gruppe eingeschleusten Agenten erfuhren wir, daß die Fraktion sich den Namen Asasel gegeben hat – aus ketzerischem Übermut. Geplant war eine ganze Serie von Mordanschlägen auf die Jeunesse dorée, die ›Parasiten‹ und ›Prasser‹. Die Beshezkaja, mutmaßlich Emissärin einer weltumspannenden anarchistischen Vereinigung, schloß sich der Gruppe an. Den Selbstmord Kokorins, der faktisch ein Mord war, hat sie in die Wege geleitet, es war die erste Aktion des ›Asasel‹. Von der Beshezkaja werden Sie mir ja hoffentlich zu berichten haben. Das nächste Opfer war Achtyrzew, der die Verschwörer noch mehr interessierte als Kokorin, denn er war der Enkel des Kanzlers, Fürst Kortschakow. Eines müssen Sie bedenken, junger Freund: So aberwitzig der Plan der Terroristeneinerseits war, so teuflisch gut funktionierte er. Man spekulierte darauf, daß es viel einfacher ist, der Sprößlinge hochgestellter Persönlichkeiten habhaft zu werden als dieser selbst, womit man jedoch der staatlichen Hierarchie einen nicht minder empfindlichen Schlag versetzt. Fürst Kortschakow beispielsweise ist vom Tod seines Enkels so erschüttert, daß er sich fast ganz von den Regierungsgeschäften zurückgezogen hat und ernsthaft über einen Rücktritt nachdenkt. Dabei gibt es niemanden, der sich um Rußland, wie es sich heute darstellt, verdienter gemacht hätte als er.«
    »Was für gemeine Verbrecher!« Fandorin war so entrüstet, daß er ein angebissenes Stück Marzipan zurück auf den Teller legte.
    »Als ich schließlich zur Erkenntnis gelangte, daß die Aktivitäten des ›Asasel‹ in letzter Instanz auf die Tötung des Zesarewitsch abzielten …«
    »Den Kronprinzen? Das kann nicht sein!«
    »Leider doch. Als sich dieses herausstellte, bekam ich Order zu handeln. Dem mußte ich Folge leisten, obwohl ich mir lieber erst noch ein vollständiges Bild von der Situation gemacht hätte. Aber Sie begreifen, wenn das Leben Seiner Kaiserlichen Majestät auf dem Spiel

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