Fandorin
Amtsdiener, zu ihm hin: ob er ihm vielleicht behilflich sein könne. Doch der Karierte schüttelte nur gereizt den Kopf und gab Trifon ein Zwanzigkopekenstück. Laß mich in Frieden, schien das zu heißen. Auch gut.
Derweil hatte sich ein gemeiner Mann vor dem Schalter aufgebaut, Kutscher dem Anschein nach, und wies einen zerknitterten Ausweis vor.
»Guckst du mal, Bester, ob für Krug was da ist, Krug, Nikola Mitrofanowitsch?«
»Woher zu gewärtigen?« fragte Kondrati Schtukin in strengem Ton und griff nach dem Ausweis.
»Von England her, aus der Stadt London«, kam die überraschende Antwort.
Erstaunlicherweise fand sich tatsächlich ein Brief aus London, freilich nicht unter »K«, sondern unter lateinisch »C«. Schau an, ein Mr. Nickolas Croog war gefragt. Was einem nicht alles vorkam an so einem Ausgabeschalter!
»Bist du das auch wirklich?« fragte Schtukin, nicht sonderlich im Zweifel, eher aus Neugier.
»Kannste Gift drauf nehm«, gab der Kutscher einigermaßen grob zur Antwort, schob seine Pranke durch das Schalterfenster und grapschte nach dem dicken gelben Umschlag mit dem Eilpoststempel.
Kondrati Schtukin schob ihm das Empfangsbuch zu.
»Kannst du unterschreiben?«
»Besser als du!« Und der Flegel malte in die Spalte
Sendung erhalten
einen Krakel.
Schtukin schickte dem unangenehmen Kunden einen erzürnten Blick hinterdrein und spähte alsdann, schon aus Routine, zu dem Engländer hinüber – aber der war weg. Das Warten war ihm wohl nun doch zu dumm geworden.
Klopfenden Herzens stand Erast Fandorin auf der Straße und wartete, daß der Kutscher herauskam. Ein feiner Nickolas Croog! Die Sache wurde immer obskurer. Jedenfalls war die sechstägige Gewalttour quer durch Europa nicht vergeblich gewesen! Fandorin hatte den Brief eingeholt, überholt, abgepaßt! Jetzt hatte er dem Chef etwas vorzuweisen. Wenn ihm nur dieser Croog nicht durch die Lappen ging.
Am Prellstein döste der Kutscher, der für den ganzen Tag angemietet worden war. Leidend, halb bewußtlos von der erzwungenen Untätigkeit, ärgerte er sich sehr, daß er dem kauzigen Herrn nur ganze fünf Rubel abgeknöpft hatte – für derlei Märtyrerqualen wären auch sechs nicht zuviel gewesen.
Jetzt, als sein Fahrgast endlich auftauchte, kam Leben in den Kutscher, er nahm die Zügel auf – doch Fandorin blickte nicht einmal in seine Richtung.
Das Objekt trat heraus. Kam die Stufen herabgelaufen,setzte die blaue Schirmmütze auf und lief auf eine in der Nähe stehende Kutsche zu. Fandorin folgte bedächtigen Schrittes. Vor der Kutsche blieb das Objekt stehen, nahm die Mütze wieder ab und überreichte mit einer Verbeugung den dicken, gelben Brief. Die Hand eines Mannes, in weißem Handschuh, streckte sich ihm aus der Kutsche entgegen und griff zu.
Auf einmal hatte Fandorin es sehr eilig, dem Unbekannten ins Gesicht zu sehen. Es gelang.
In der Kutsche saß, die Siegel auf dem Brief ins Licht haltend, ein rothaariger Herr mit stechend grünen Augen und zahllosen Sommersprossen im blassen Gesicht. Erast Fandorin erkannte ihn sofort. Natürlich, es war Mr. Gerald Cunningham in eigener Person – glänzender Pädagoge, Freund der Waisen und Lady Asters rechte Hand.
Den Kutscher hatte Fandorin also umsonst schmoren lassen. Mr. Cunninghams Adresse herauszubekommen konnte kein Problem sein. Zuvor jedoch gab es Dringenderes zu erledigen.
Kondrati Schtukin staunte nicht schlecht, als er den Engländer zurückkehren sah. Und diesmal in großer Eile. Er lief zur Telegrammaufnahme, steckte den Kopf durch das Schalterfenster und begann dem Kollegen Michail Nikolajewitsch zu diktieren – das mußte ja dringend sein. So daß auch Michail Nikolajewitsch ganz geschäftig und beflissen wurde, was nun wirklich nicht seine Art war.
Schtukin packte die Neugier. Er stand auf (keine Kundschaft, gottlob) und ging, wie um sich die Beine zu vertreten, auf die andere Seite der Halle hinüber, wo der Telegraphenapparat stand. Neben Michail Nikolajewitsch, der konzentriert die Taste betätigte, blieb er stehen, reckte sichein wenig und konnte die schnell hingekritzelten Zeilen lesen:
An Kriminalamt Moskau. Höchste Dringlichkeit. Herrn Staatsrat Brilling persönlich. Bin zurück. Erbitte sofortigen Kontakt. Verbleibe bis Rückantwort am Apparat. Fandorin
Schau einer an. So war das also. Schtukin betrachtete den »Engländer« mit neuen Augen. Ein Kriminalpolizist. Auf Verbrecherjagd. Na so was.
Der Detektiv war keine zehn Minuten in der
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