Fangjagd
einen Sprengsatz am Wagen angebracht hat“, antwortete Newman absichtlich brutal, um sie zu verunsichern.
„Mein Gott, willst du mich unbedingt zu einem Nervenbündel machen?“
Auf der Rückfahrt nach Bern, die ereignislos verlief, sprachen sie nicht miteinander. Im Bellevue Palace nahmen sie ihr verspätetes Mittagessen in der Snackbar ein, die um diese Zeit so leer war, daß sie sich offen unterhalten konnten. Nancy schnitt das Thema beim Kaffee an.
„Jetzt steht wohl Seidler auf dem Programm?“
„Richtig! Vergiß bitte nicht, den kleinen Koffer zu packen. Ich habe das Gefühl, daß wir ihn brauchen werden“.
„Das wollte ich gleich anschließend tun. Ich bin schon froh, daß ich dich diesmal ausnahmsweise begleiten darf…“
„Hör endlich auf, Nancy!“
Sie verbrachten den Rest des Nachmittags in ihrem Zimmer, weil nicht auszuschließen war, daß Seidler früher als vereinbart anrief. Newman hatte am Vortag eine Straßenkarte der Schweiz gekauft, die er jetzt studierte, während Nancy, die ihre Schuhe abgestreift hatte, auf dem Bett lag und zu schlafen versuchte.
Sie bildete sich ein, keine Sekunde geschlafen zu haben – aber das Klingeln des Telefons ließ sie trotzdem aufschrecken.
Newman, der die Straßenkarte auf der zweiten Betthälfte ausgebreitet hatte, nahm den Hörer ab und meldete sich.
„Hier ist Manfred Seidler. Hören Sie gut zu, denn ich sage Ihnen alles nur einmal…“
„Was ich nicht gleich verstehe, erklären Sie mir gefälligst ein zweites Mal! Bitte weiter!“
„Kennen Sie den Ort Le Pont im Jura am Lac de Joux?“
„Ja“, antwortete der Engländer sofort.
„Wir treffen uns dort um neunzehn Uhr achtundzwanzig. Am Bahnhof Le Pont. Ich komme um neunzehn Uhr achtundzwanzig mit dem Zug an.“
„Verdammt noch mal, wie soll ich denn das schaffen? Ist Ihnen klar, daß das in zweieinhalb Stunden ist?“
„Falls Sie Interesse an den Informationen haben, die ich liefern kann – am Telefon möchte ich keine Einzelheiten nennen –, bringen Sie zweitausendfünfhundert Franken in bar mit. Parken Sie in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs, aber trotzdem etwas versteckt. Ich habe zwei Koffer bei mir“.
„Ich brauche mehr Zeit! Im Jura liegt Schnee. Die Bergstraßen sind schlecht befahrbar…“
„Neunzehn Uhr achtundzwanzig. Und ich warte nicht!
Kommen Sie also oder nicht?“
„Ich komme! Aber…“
Newman hörte ein Klicken in der Leitung. Seidler hatte eingehängt. Der Engländer ließ langsam den Hörer sinken und sah erneut auf seine Armbanduhr. Er zog die Straßenkarte mit einem Ruck zu sich heran, während Nancy ihm über die Schulter sah.
„Können wir’s schaffen?“ fragte sie besorgt.
„Vielleicht auf dieser Route. Aber die Zeit ist verdammt knapp.“
Sein Zeigefinger folgte der Autobahn N 12 von Bern zum Genfersee. Dort bog er auf die parallel zum See nach Nordwesten führende Autobahn N 9 ab und erreichte dann die Anschlußautobahn N 1. In dem zwischen Lausanne und Genf gelegenen Rolle nahm Newman eine über den Jura führende Bergstraße auf, bis sein Zeigefinger in Le Pont stoppte.
„Das ist ein großer Umweg“, wandte Nancy ein. „So fahren wir ein richtiges Dreieck aus!“
„Nur über die Autobahnen kommen wir vielleicht rechtzeitig hin“, erklärte Newman ihr. „Und ich kenne die Straße von Rolle zum Lac de Joux. Oberhalb der Schneegrenze ist sie um diese Jahreszeit schauderhaft. Komm, wir haben’s eilig, Mädchen! Ich nehme den Koffer. Zum Glück haben wir auf der Rückfahrt von Thun vollgetankt…“
Als sie vor dem Aufzug standen, bat Nancy Newman plötzlich, zum Auto vorauszugehen.
„Ich komme gleich nach“, erklärte sie ihm, als die Lifttür aufging. „Ich hab’ meine Handschuhe im Zimmer vergessen.“
Newman trat fluchend in die Kabine.
Lausanne Gare.
Seidler schleppte die beiden Koffer aus der Telefonzelle auf den Bahnsteig zurück. Er empfand ein Gefühl der Erleichterung. Newman hatte sein Kommen zugesagt.
Seidler hastete ins Bahnhofrestaurant, in dem er sich inmitten zahlreicher Gäste sicher fühlte, während er auf seinen Zug wartete.
Er hatte sich bewußt für eine Reiseroute mit Umwegen entschieden, um ganz sicherzugehen, daß er nicht beschattet wurde. Jetzt wartete er auf den Fernschnellzug
Cisalpin
nach Paris, der ohne Halt bis zum Grenzbahnhof Vallorbe fuhr. Von dort aus würde Seidler den Personenzug benützen, der um 19.09 Uhr in Vallorbe abfuhr und um 19.28 Uhr in Le Pont ankam.
Bern.
„Hier spricht
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