Fangjagd
willen, was war das?“
„Wieder mal der Hubschrauber“, stellte Nancy fest, nachdem sie einen schrägen Blick aus dem Seitenfenster geworfen hatte.
„Falls es noch derselbe Hubschrauber ist. Ich hab’ ihn zum erstenmal gehört, als wir in Rolle abgebogen sind.“
„Ich auch“, bestätigte Newman. „Er scheint uns hierher gefolgt zu sein. Aber Militärhubschrauber gibt’s in der Schweiz zu Dutzenden…“
„Militärhubschrauber?“ wiederholte Seidler hörbar besorgt.
„Werden Sie beobachtet?“
„Maul halten!“ fuhr Newman ihn an. „Sagen Sie uns gefälligst rechtzeitig Bescheid, wenn wir zu dem Haus kommen.“
„Bleiben Sie auf der Seeuferstraße“, forderte Seidler die Amerikanerin auf. „Und fahren Sie so schnell wie möglich!“
„Danke, ich brauche keine Ratschläge“, entgegnete Nancy kühl.
Das langgestreckte Vallee de Joux liegt in rund 1000 Meter Höhe im Jura. Rechts der Straße erstreckte sich der See als endlose, schneebedeckte Eisfläche. Über die Hänge links der Straße zogen sich die Spuren, die Tausende von Skifahrern tagsüber im Schnee hinterlassen hatten. Hier und dort ragten behäbige einstöckige Chalets auf. Als Wintersportort war Le Pont offensichtlich beliebt.
„Dort vorn!“ rief Seidler aus. „Das Haus auf der linken Straßenseite vor L’Abbaye…“ Er beugte sich erneut nach vorn.
„Sie können den Wagen in die Garage fahren.“
„Nein“, widersprach Newman, „am besten parkst du unter den Kiefern. Vielleicht kannst du rückwärts einparken, damit wir in dieser Richtung weiterfahren können“.
„Weißt du was, Robert? Das werde ich wohl gerade noch schaffen!“
Newmans Verstand arbeitete fieberhaft. Er hatte eben festgestellt, daß seine Chance gekommen war. L’Abbaye.
Dahinter kam Le Brassus am Ende des Sees. Und nur wenige Kilometer von Le Brassus entfernt befand sich ein kleiner, schwach besetzter Grenzübergang nach Frankreich. Von dort aus führte die Straße etwa 20 Kilometer weit nach La Cure. Er konnte sich sogar an das Hotel Franco-Suisse erinnern, in dem er einmal übernachtet hatte, das merkwürdige Hotel direkt auf der Grenze, das man von Frankreich aus betrat und auf Schweizer Boden verließ. Auf diesem Weg wollte er Nancy noch in dieser Nacht aus der Schweiz heraus und in Sicherheit bringen.
„Warum nicht in die Garage?“ erkundigte sich Seidler.
„Solange der Wagen im Freien steht, können wir schnell weiter – oder ist Ihnen nicht aufgefallen, daß der Hubschrauber uns nach wie vor begleitet?“
„Haben Sie die zweieinhalbtausend Franken mitgebracht?“
wollte Seidler wissen.
„Nein. Die haben Sie nur verlangt, weil die meisten Leute alles, was sie umsonst kriegen können, für wertlos halten.“
Newman drehte sich nach Seidler um. „Wenn Sie nicht auspacken wollen, setzen wir Sie hier ab und fahren allein weiter. Wie steht’s damit?“
„Wir gehen ins Haus…“
Seidler schien mit seiner Widerstandskraft am Ende zu sein.
Tief in den Höhlen liegende Augen starrten den Engländer an, während Nancy den Citroen rückwärts unter den Bäumen einparkte. Sie stellte den Motor ab, und Newman stieg als erster aus, um sich zu recken.
Das einstöckige Haus stand einige Meter von der Straße entfernt am Hang. Es war alt und verfallen und war im Erdgeschoß von einer Veranda umgeben. Vor den mit Läden verschlossenen Fenstern im ersten Stock waren Balkone zu erkennen, und auch die Fenster im Erdgeschoß waren durch Fensterläden gesichert. Nancy fand, das Haus wirke düster und unheimlich.
Das Knattern der Rotorblätter des Hubschraubers war jetzt noch deutlicher zu hören, weil der Motor des Citroens nicht mehr lief. Newman verrenkte sich fast den Hals, aber der Hubschrauber schwebte irgendwo jenseits der Bäume und schien sich von ihnen zu entfernen. Der Engländer rieb sich frierend die behandschuhten Hände.
„Puh, ist das kalt!“ meinte Nancy.
In dieser Höhe herrschten arktische Temperaturen. Kein Wind, aber empfindliche Kälte, die bereits durch Newmans Schuhe und Handschuhe drang. Auch an der Dachrinne dieses Hauses hingen lange Eiszapfen. Newman machte keinen Versuch, Seidler die beiden Koffer tragen zu helfen, die dieser gerade zum Eingang hinauftrug.
„Wem gehört dieses Haus?“ erkundigte er sich, als Seidler einen Schlüssel aus der Tasche holte.
„Einem meiner Freunde. Er wohnt nur im Sommer hier…“
„Sehr vernünftig!“
Zu Newmans Überraschung ließ die Haustür sich mühelos aufsperren.
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